«Wir sind auch nur zu Besuch»

«Wir sind auch nur zu Besuch»

Katastrophen, insbesondere Naturkatastrophen, kommen mit voller Wucht, meist unvorhersehbar und lösen auf einen Schlag viel Leid aus. Beatrice Weber, Co-Leiterin Not- und Katastrophenhilfe, und ihre Team sind dann gefordert. Sie spricht über die Arbeit des SRK, Spannungsfelder bei Einsätzen und ihren persönlichen Umgang mit so viel Leid.

Im Ernstfall muss es schnell gehen. Dann kommt erst einmal die Taskforce für Not- und Katastrophenhilfe des SRK zusammen. Früher noch vor Ort, heute meist per Zoom. «Wir alle können mittlerweile gut abschätzen, ob es sich bei einem Erdbeben, einem Tsunami oder einem Wirbelsturm um eine Grosskatastrophe handelt oder nicht. Das Wort gefällt mir zwar nicht, denn ein solches Ereignis ist für das einzelne Individuum immer schlimm. Aber es definiert, ob ein Land die Katastrophe selbst stemmen kann oder nicht», erklärt Weber bei einem Kaffee im Pausenraum des SRK-Sitzes.

Eine halbe Million

Fordert die Regierung internationale Hilfe an, gelte es, erst mal zu schauen, ob das Schweizerische Rote Kreuz im betroffenen Land Zugang hat und ob schon jemand vor Ort ist. Dass ein Team innerhalb der ersten 12 Stunden nach einem Ereignis von der Schweiz ins Katastrophengebiet reise, sei noch nie vorgekommen. So auch beim Erdbeben in der Türkei und in Syrien nicht. Das hat verschiedene Gründe. Einerseits muss ein solcher Einsatz erstmal finanziert sein. Eine halbe Million koste es, wenn eine Einheit losgeschickt werde, rechnet Weber vor. Ausserdem muss die Sicherheit für Helfende gewährleistet sein. Oftmals seien ausserdem schon andere Teams aus anderen Ländern vor Ort, um erste Nothilfe zu leisten. Dann mache es mehr Sinn, die vorhandenen Ressourcen für den Wiederaufbau danach einzusetzen. «Diesmal war in der Türkei der Rote Halbmond eine sehr starke Einheit. So forderten sie lediglich materielle Hilfe durch uns an», erklärt Weber. 

Ein Netz von Freiwilligen

Nichtsdestotrotz steht neben drei festangestellten Logistikern ein Pool von rund 50 Freiwilligen immer in Bereitschaft. Es sind Personen wie Pflegefachleute oder Logistikerinnen, die ansonsten ihren normalen Jobs nachgehen und für humanitäre Einsätze ausgebildet sind. Eigentlich. Denn Schulungen beziehen sich normalerweise auf «normale» Katastrophen- und nicht auf bereits konfliktbehaftete Gebiete, wie es etwa in Syrien der Fall ist. Auch darauf müssen die Freiwilligen vorbereitet und speziell rekrutiert werden. Einen Vorteil hat das Ganze: In solchen Gebieten sind oft schon Personen vor Ort, die beurteilen können, was am dringendsten gebraucht wird. «In Syrien ist aufgrund des Bürgerkrieges seit vier Jahren eine SRK-Delegierte im Einsatz. Sie forderte nun mehr Hygie-
neprodukte und eine weitere Person aus dem Pool, die ihr logistisch helfen kommt», erklärt Beatrice Weber. 

Eine Zusammenarbeit

Vor allem aber übernimmt das SRK eine koordinierende Funktion. Mit dem Roten Kreuz aus anderen Ländern oder unlängst mit dem Roten Halbmond wird organisiert, abgesprochen und je nachdem gehandelt. In die Türkei wurde beispielsweise der Transport von Zelten organisiert, die für Helfende im Ukraine-
krieg gebraucht wurden. Früher seien humanitäre Einsätze relativ unkoordiniert abgelaufen, erklärt Weber aus eigenen Erfahrungen. Deshalb rief man Nothilfeeinheiten verschiedener Bereiche ins Leben: Logistik, Wasseraufbereitung, Feldspitäler, Gesundheitsfachleute, IT und Telekom, Verteilung von Hilfsgütern, Basecamps fürs Kochen, Wiederaufbau oder Cash-
assistenz. So habe jedes Land sein Spezialgebiet. Die Schweiz sei beispielsweise bekannt für ihre logistische Arbeit. «Im Erdbebengebiet ist es nun besonders wichtig, hygienische Massnahmen zu ergreifen. Dazu gehören beispielsweise die Wasseraufbereitung und die Verteilung von Menstruationshygieneartikeln an Frauen. Ansonsten ist die Gefahr gross, dass auch noch Epidemien oder Cholera ausbrechen», so Weber.

Eine Gratwanderung

Auch bei humanitären Einsätzen gilt es, verschiedene Dinge zu respektieren. So verteile man heutzutage mehr Bargeld, als direkt Lebensmittel oder Werkzeuge für den Wiederaufbau von Häusern, weiss Weber. «Betroffene fühlen sich mit mehr Würde behandelt, wenn sie nach zig Tagen Spaghetti auch mal selbst entscheiden können, was sie essen möchten.» Weiter gelte allgemein: so lokal wie möglich, so international wie nötig. Das bezieht sich auf die Hilfsgüter, aber auch auf die Arbeit selbst. «Wir können unser Wissen und unsere Erfahrungen teilen, aber wir haben nicht das Recht, vor Ort zu bestimmen, wie man etwas machen sollte. Wir arbeiten lediglich mit dem lokalen Partner zusammen.» Damit einher gehe auch, die Regeln im jeweiligen Land zu berücksichtigen. «Logisch ist es ärgerlich, wenn man kein Visum erhält, zumal man ja nur helfen will. Dennoch dürfen wir nicht vergessen, dass wir auch nur zu Besuch sind», sagt Weber. Es gelte jeweils, sich zurücknehmen, auch wenn es schwierig sei. «Ich erinnere mich an eine angespannte Situation nach einem Wirbelsturm in der Karibik. Jemand, der hier in der Schweiz einem normalen Beruf nachgeht und freiwillig bereit war, im Katastrophengebiet jeden Tag und mit wenig Schlaf im Einsatz zu sein, fand kein Verständnis für einen lokalen Helfer, der am Sonntag nicht erschien, da er Zeit mit seiner Familie verbringen wollte», erinnert sich Weber. Das dürfe man ihm aber nicht vorwerfen. «Wir dürfen nicht vergessen, dass die Menschen, die vor Ort helfen, gleichzeitig auch persönlich betroffen und somit Opfer der Katastrophe sind.»

Ein normales Leben

Nach 20 Jahren beim Internationalen und Schweizerischen Roten Kreuz, davon sieben Jahre auf dem Feld im Einsatz, ist sich Beatrice Weber einiges gewöhnt. «Ich nehme natürlich einige Erfahrungen mit. Vor Ort ist man meist so fokussiert und hat keine Zeit zum Überlegen. Erst zuhause, wenn man mit Freunden spricht, die etwas anderes arbeiten, wird einem viel bewusst.» Trotzdem ist Weber positiv gestimmt: «Solange man dazu beitragen kann, dass es einem Opfer besser geht, gibt das viel Energie.» Sie führe hier ein normales Leben, wo sie nach Feierabend auch mal ins Kino gehe. Eine kurze Ablenkung von einer Arbeit, die ein dickes Fell erfordert; und dennoch viel zurückgeben kann.

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