Wir verhöckern Hehlerware coram publico…

Wir verhöckern Hehlerware coram publico…

Nun gut, viele Leute behaupten, nur ich würde derart viele Geschichten erleben, die das Leben schreibt. Aber das ist auch kein Kunststück, wenn andere wegschauen…

Passiert im vergangenen Sommer. Tatort: Die Aussenterrasse des Restaurants Autobahnraststätte Grauholz. Ich warte auf eine Kollegin, bin wie immer viel zu früh. Aus dieser Erkenntnis heraus habe ich vorsichtshalber meinen Laptop mitgenommen, um eine meiner Kurzgeschichten zu
schreiben (nein, nicht diese, die Sie gerade lesen…). Es ist schönes Wetter, die Terrasse gut besetzt. Will heissen: relativ viele Leute.

Der Tisch «nebenan», in meiner Blickrichtung, ungefähr vier Meter entfernt, ist leer. Ich beginne mit dem Schreiben. Nach ungefähr fünf Minuten setzen sich zwei Herren an den Nebentisch, einer davon mit Blick zu mir, vom Zweiten sehe ich nur den Rücken. Obwohl mit meiner Schreiberei beschäftigt, höre ich, dass die beiden Herren Französisch sprechen. Mehr nicht, ihre Rederei interessiert nicht. Nach schätzungsweise drei, vier Minuten klingelt das Handy jenes Zeitgenossen, der mit dem Rücken zu mir sitzt. Dieses Mal parliert er Portugiesisch. Als er das Gespräch beendet hat, informiert er sein Gegenüber: «Il vient», er kommt. «Er» entpuppt sich als ungefähr 50-Jähriger, etwa 170 cm gross, leicht übergewichtig, leicht ungepflegt. In seiner Hand ein kleiner weisser Papiersack. Er setzt sich, ebenfalls mir den Rücken zudrehend. Es beginnt ein Dreiergespräch, wobei jener, der vorhin am Telefon war, vom Portugiesischen ins Französische übersetzt. Und umgekehrt. Ich gebe mich uninteressiert, bis zum Moment, da der Schmierige den Inhalt seiner Papiertüte auf den Tisch legt: fünf Luxusuhren von fünf verschiedenen Herstellern. «Breitling», «Hublot», «Blanc-
pain», «IWC» und «Richard Mille». Jetzt allerdings gebe ich mich interessiert.

Jener, der mit dem Gesicht zu mir sitzt – ungefähr 40 Jahre alt, gepflegte Erscheinung, könnte direkt den Filmschauspieler markieren –, ist der Interessent. Es beginnt, via Dolmetscher, ein Feilschen um die Ware. Der Verkäufer will pro Stück 5000 Franken – für mich gut hörbar. Während der ganzen Zeit läuft Bedienungspersonal an unseren Tischen vorbei, der eine oder die andere riskiert sogar einen Blick auf die fünf Zeitmesser. Das Feilschen geht weiter, wobei ich offenbar der Einzige in der Runde bin, der grosse Ohren macht, die übrigen Gäste sind in ihre eigenen Gespräche vertieft. Das Trio am Nebentisch bemerkt meine Neugier nicht, obwohl sich alle drei ständig umschauen (der geneigte Leser – und auch der weniger geneigte – ahnt, weshalb).

Der Verkäufer preist gebetsmühlenartig die Qualität seiner Ware an. Weil ich eine kleine Ahnung von Uhren habe, ist mir sofort klar: Das sind keine Fälschungen, sondern Ware, die am offiziellen Handel vorbeigeschleust wird, aus nicht genannter Quelle stammend. Ich vermute Hehlerware. Item: Die Preisdiskussion geht weiter, immer schön von der einen in die andere Sprache übersetzt. Und noch immer schaut vor allem einer der Kellner auffällig beim Vorbeilaufen auf den Tisch.

Der Deal kommt zustande, der Verkäufer steckt die fünf Uhren wieder in den Sack, überreicht ihn dem Franzosen (oder dem Romand). Und jetzt gut aufpassen, liebe Leserinnen und Leser, was passiert: Nicht unter dem Tisch hindurch, nicht in einem ­Couvert – nein, ganz offiziell wechseln 20’000 Franken – auf diesen Betrag hat man sich für alle fünf Uhren geeinigt – in 200er-Noten den Besitzer, «es rächts Bigeli».

Nun jedoch steht der Komödien-Höhepunkt erst noch bevor: Der Verkäufer nimmt das Bündel Banknoten entgegen und hält während gefühlten drei, vier Minuten jede einzelne Banknote gegen die Sonne, um deren Echtheit (der Noten, nicht der Sonne) zu überprüfen. Unglaublich. Derweil checkt der Käufer seine soeben erworbenen Uhren. Nicht gesehen habe ich, ob den Dingern auch Garantiescheine beigelegt waren. Man stelle sich das vor: Da hält einer minutenlang 200er-Noten gen Himmel und keiner nimmt Notiz davon. Das Servicepersonal nicht, die Gäste nicht. Scheint in Schweizerlanden kein bemerkenswertes Ereignis zu sein.

Bevor sich die Herren verabschieden, lässt der Verkäufer sein Vis-à-vis via Übersetzer wissen, dass er «stets gerne zu Diensten» sei, er könne so ziemlich alles auftreiben, auch Autos der Luxusklasse, «zu ungefähr der Hälfte des normalen Preises», worauf man bezahlt, aufsteht und geht. Diskretion ist schliesslich in diesen Kreisen oberstes Gebot.

Sie fragen sich jetzt, weshalb ich nicht die Polizei oder den Wirt informiert habe? Gegenfrage: Weshalb denn immer ich? Immerhin habe ich es tags darauf einem pensionierten Polizisten erzählt. Seine Reaktion: «Uns sind diese Machenschaften bekannt, die Autobahnraststätte Grauholz eignet sich perfekt dazu, weil man in Windeseile in beide Richtungen wegfahren kann, mit unmittelbar folgenden Abzweigungen nach Zürich, ins Oberland, in die Romandie oder ins Seeland.»

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