«Betriebe wollen sehr gut qualifizierte Mitarbeiter»

«Betriebe wollen sehr gut qualifizierte Mitarbeiter»

Mit ihrem modularen Aufbau sind die ICT-Ausbildungen ein Sonderfall unter den Berufslehren. Thomas Riesen, Präsident von ICT-Berufsbildung Bern, erklärt im Interview, wie die Zukunft gestaltet wird.

Thomas Riesen, was war ihr persönlicher Weg in die Informatik?
1981 habe ich meine Kaufmännische Lehre bei der Radio Kilchenmann AG in Kehrsatz abgeschlossen. Die Firma war für die damalige Zeit recht modern mit EDV (das Wort Informatik wurde in der Zeit noch nicht so benutzt, man machte EDV) ausgerüstet, wir hatten das IBM-System 34. Am Abend und am Wochenende durfte ich die Handbücher mit nach Hause nehmen und lernte so die Programmiersprache RPG und die Bedienung des Systems. Mein EDV-Lehrer im KV Thun war der EDV-Chef der Munitionsfabrik Thun M+F. Er hat mich direkt nach der Lehre als Junior-Programmierer eingestellt. Beim Bund durchlief ich eine intensive Ausbildung zum Analytiker/Programmierer.
Bereits 1984 habe ich dann mit meinem Compagnon die Firma Predata AG gegründet, in welcher wir bis heute tätig sind.

Der Beruf des Informatikers wurde 1995 in Bern geschaffen. Was sind die wichtigsten Entwicklungen in der Ausbildung seither?
Der Kanton Bern gehört zu den Gründern der Informatiker-Berufslehre in der Schweiz.
Im Gegensatz zu allen anderen Berufen erfolgte die Ausbildung von Anfang an in Modulen, das heisst, ein Thema/Fachgebiet (Modul) wird vermittelt und anschliessend gleich geprüft. Somit entfällt am Ende der Lehre eine alles umfassende Lehrabschlussprüfung, es wird «nur» noch eine IPA (Individuelle Praktische Arbeit) durchgeführt. Die Note der IPA und die Noten, welche über die vier Jahre in den Modul-Tests erreicht wurden, fliessen am Schluss in das sogenannte Qualifikationsverfahren ein und bestimmen, ob der Lernende sein EFZ erhält.Die Module werden ständig weiterentwickelt und können so die enorme Dynamik in der IT berücksichtigen.
Über die Jahre wurde die Ausbildung aber ganz klar anspruchsvoller. Die EFZ-Berufe werden in Stufen von 1 bis 5 eingeteilt, der/die InformatikerIn EFZ reiht sich in Stufe 5 ein.
Eine wichtige Entwicklung war sicher auch die Zentralisierung der Informatik-Ausbildung an einem Standort im Kanton, der «gibb» in Bern.
Die Digitalisierung ist in vielen Berufen ein wichtiger Trend – welche Auswirkungen hat dies auf die Informatik-Ausbildung?
Die Digitalisierung war schon immer die DNA der Informatik-Ausbildung, darum muss der Beruf nicht grundlegend umgekrempelt werden, wie das in andern Berufen der Fall ist. Es ist aber eine grosse Herausforderung, die Lerninhalte (Module) so anzupassen, das die Lernenden nach der Lehre einen «Wissensrucksack» haben, der auch gefragt ist auf dem Stellenmarkt. Heute sind Themen wie Cloud, Security, Mobility wichtig, wogegen klassische PC-Schrauber kaum mehr gefragt sind.

Von der Informatik-Ausbildung wird eine grössere Flexibilität erwartet. Weshalb?
DIE Informatik-Ausbildung gibt es ja eigentlich nicht, der Beruf ist schon heute in fünf Berufsbilder/Fachrichtungen unterteilt:
InformatikerIn Systemtechnik EFZ, InformatikerIn Applikationsentwicklung EFZ, InformatikerIn Betriebsinformatik EFZ, MediamatikerIN und ICT-Fachfrau / ICT-Fachmann EFZ
Die Vielfalt der Ausbildungsbetriebe ist gross, was sich auch in der Art, wie die Lernenden ausgebildet werden, niederschlägt. Die Ausbildung in einem Grossbetrieb mit eigener «Lehrlingsabteilung» oder in einer kleineren KMU läuft sehr unterschiedlich. Die Lehre im KMU muss dabei nicht «schlechter» sein, aber die Anforderungen an die Ausbildungsorganisation, namentlich an die Berufsschule, sind unterschiedlich.

Wie wollen Sie diese Flexibilität erreichen?
Im Rahmen des Pilotprojekts «Informatikausbildung 4.0» wird im Kanton Bern die Flexibilisierung der Ausbildung vorangetrieben. Das Projekt ist in drei Teile unterteilt: FLEBA (vom Betrieb bestimmbare Abfolge gewisser Module), SOL (selbstorganisiertes Lernen), smartLearn (handlungsorientiertes und selbstorganisiertes Lernen & Prüfen).

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In diesem Jahr starten wir mit der Projektphase FLEBA, die restlichen werden in den nächsten Jahren folgen.
Das Ziel ist, die Berufslehre in der Informatik gegenüber dem «Gymer» attraktiver zu machen. Viele Eltern, speziell aus andern Kulturkreisen, bevorzugen für ihre Kinder zu oft noch die Matura/Studium Kombination, dabei bietet unser Berufsbildungssystem exzellente Anschlusslösungen von der Lehre, Berufsmatura, über die Fachhochschule bis hin zur ETH. Dieser Königsweg hat gegenüber einem reinen Studium den Vorteil, Fachleute mit echtem Praxisbezug hervorzubringen.

Was wird schulisch erwartet?
Die Ausbildung zum/zur InformatikerIn ist sehr anspruchsvoll, die Lernenden müssen ein gutes Sekundarschul-Niveau (Sekundarstufe A) mitbringen. Für die / den ICT-Fachfrau / -mann geht man von einer Sekundarstufe B aus, also etwas weniger anspruchsvoll. Diesen Beruf gibt es aber erst seit diesem Jahr, Erfahrungen aus der Praxis fehlen noch.
Ich empfehle dringend, die Eignung für die ICT-Berufe mit einem Multicheck zu prüfen. Dieser gibt recht verlässlich darüber Auskunft, ob von den schulischen Leistungen her die Berufsschule zu schaffen ist und überhaupt eine grundsätzliche Eignung vorhanden ist.

Wie viele Ausbildungsplätze gibt es im Kanton Bern?
Pro Jahr schliessen rund 320 Informatiker/Innen und 80 Mediamatiker/Innen ihre Lehre mit einem EFZ ab, das führt zu total etwa 1600 Lehrverhältnissen. Damit sind die ICT- Berufe der fünftgrösste Ausbildungsberuf in der Berufsbildung des Kantons Bern.

Sind dies genügend um den Bedarf an Fachkräften zu decken?
Natürlich hätten wir gerne mehr Lernende in den ICT-Berufen, nur bringt es aus meiner Sicht gar nichts, möglichst viele Leute in die Informatik zu bringen, nur um «schöne» Zahlen präsentieren zu können. Die Leute müssen einen Rucksack gefüllt mit guten schulischen Leistungen und entsprechenden Soft-Skills mitbringen. Der Bedarf der Betriebe geht eindeutig in Richtung sehr gut qualifizierter Mitarbeiter, das war übrigens auch einer der Hauptgründe, dass die Attestlehre als InformatikpraktikerIn abgeschafft wurde, für die Absolventen bestand praktisch kein Bedarf auf dem Stellenmarkt.
Wie erwähnt, müssen wir es schaffen, clevere junge Leute zu überzeugen, anstatt den akademischen Weg den Berufsbildungsweg zu wählen. Die Zukunftsaussichten und Verdienstmöglichkeiten sind für gute Leute enorm, es gibt viele spannende, moderne Jobs in diesem Umfeld.

Wie wird die Ausbildung zum Informatiker in zehn Jahren aussehen? Gibt es weitere Herausforderungen, die Sie heute bereits auf sich zukommen sehen?
In den letzten paar Jahren haben sich die Ausbildungsplätze vom systemtechnischen Bereich (Hardware) hin zur Software-Entwicklung verschoben, wir werden voraussichtlich in drei, vier Jahren wesentlich mehr Applikationsentwickler als Systemtechniker ausbilden. Das ist ein Abbild der Wirtschaft, immer mehr Business wird über Apps und Cloud-Applikationen gemacht, diese Anwendungen muss jemand programmieren und unterhalten. Die grosse Herausforderung ist, immer genug Lehrpersonen zu finden, die den Lernenden diese aktuellen Technologien auch vermitteln können. Ein Top-Softwareentwickler verdient natürlich gut in der Privatwirtschaft, da ist ein Vollzeit-Job als Berufsschullehrer vielleicht weniger interessant. Wir müssen hier vermehrt neue Wege finden, um begabte Lehrpersonen sozusagen als Dozent nur für einzelne Themen an der Berufsschule zu verpflichten. Diese Dozenten bringen aus der Praxis ein aktuelles, hohes Fachwissen mit. Damit ist der Bogen zur Flexibilisierung mit der Informatikausbildung 4.0 gespannt.

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