Blutsauger bringen Tierseuche

Blutsauger bringen Tierseuche

Mücken sind mühsam und ihre Stiche jucken. Doch manchmal bringen Vertreterinnen ihrer Familie beim Stechen noch ungeliebtere Gäste mit: Krankheitserreger. Seit Ende August sind bei uns Schafe, Rinder und Ziegen von der Tierseuche «Blauzungenkrankheit» betroffen. Das Institut für Virologie und Immunologie war schon länger auf einen Ausbruch vorbereitet.

Eigentlich bewegen sich die nur 0,5 bis 3 mm kleinen Gnitzen nicht weit von ihrer Brutstätte weg. Mancherorts, etwa im Kakaoanbau, sind sie sogar wichtige Bestäuberinnen. Doch die winzigen Mücken haben es in sich. Buchstäblich: Sie gehören zu den gefürchteten Überträgerinnen von Tierseuchen wie der Blauzungenkrankheit. War diese jahrhundertelang hauptsächlich in Regionen Afrikas und Asiens heimisch, ist sie schon lange auch im Mittelmeerraum anzutreffen. Und, dem immer wärmer werdenden Klima sei Dank, seit einigen Jahren auch in unseren Breitengraden. Wie das Virus nach Mitteleuropa kam, ist nicht vollständig geklärt; manchmal sind Lastwagen oder Autos die Transporteure.

Blauzungenkrankheit nun auch in der Schweiz

Doch nun sind Behörden und Tierhaltende gleichermassen alarmiert. Denn die hauptsächlich von Gnitzen übertragene Blauzungenkrankheit (Bluetongue-Virus BTV) kommt zwar in Europa seit über 20 Jahren vor, aber die Lage war, auch dank einer Impfung, in der Schweiz und in den umliegenden Ländern eher ruhig. Doch dann trat der neue Serotyp BTV-3 des auslösenden Orbivirus zuerst in den Niederlanden auf und richtete von dort aus in grossen Teilen Europas riesige Schäden an. «Seit August haben wir bereits über tausend betroffene Betriebe in der Schweiz. Die Seuche breitete sich vom Nordwesten her innert weniger Wochen auf fast alle Kantone aus. Gleichzeitig sind im Kanton Waadt Fälle mit BTV-8 aufgetreten, und auch dieser Serotyp ist auf dem Vormarsch», erzählt Jakub Kubacki. Der Tierarzt und Virologe ist Experte auf dem Gebiet. Am Eidgenössischen Institut für Virologie und Immunologie (IVI) in Mittelhäusern, das mit hochansteckenden viralen Tierseuchen und Zoonosen arbeitet, verantwortet er seit Anfang 2023 den Diagnostikbereich «Vektorübertragene Tierseuchen».

Reisende mit Gepäck

In der Biologie sind Vektoren Lebewesen, die Krankheitserreger von einem Tier oder Menschen zu einem anderen übertragen. Der Begriff stammt aus dem Lateinischen; «vector» bedeutet «Reisender» oder «Träger». Auf die Gnitzen treffen beide Beschreibungen zu. Sie reisen gern von Mensch zu Mensch oder eben von Tier zu Tier, um Blut für ihren Nachwuchs zu sammeln. Bei dieser Nahrungsaufnahme nehmen sie Erreger auf und geben sie später auch wieder ab. So hatten die reisenden Blutsaugerinnen aus den Niederlanden das Virus in ihrem Gepäck. Ein Hoffnungsschimmer ist der nahende Winter. Bei kalten Temperaturen nimmt die Aktivität der Gnitzen ab und das Seuchengeschehen verlangsamt sich. Zudem hat das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV am 17. Oktober in Absprache mit Swissmedic den Import und Einsatz von Impfstoffen gegen BTV-3 erlaubt.

Gewappnet für den Krisenfall

Seit Ende August untersuchten Kubacki und sein Team mehrere Tausend Blutproben von Schafen, Ziegen oder Rindern auf Viren oder Antikörper. «Vor dem aktuellen Ausbruch hatten wir den letzten positiven Fall Ende 2020, das war der Serotyp BTV-8», so der Virologe. «Dank Extraktionen mit Robotern und einem Krisenmanagement mit Schichtbetrieb wären wir in der Lage, pro Woche bis zu 6000 Proben auszuwerten.» 

Jeder Tag sieht für Kubacki und seine Mitarbeitenden anders aus. Die von Tierärzten aus der ganzen Schweiz eingesandten Proben zu testen ist ein Teil ihrer Arbeit. Daneben entwickeln sie neue Diagnostikmethoden, bereiten Ringversuche zur Qualitätskontrolle für andere Labore vor, betreiben Forschung oder analysieren Daten. Zu den vektor-übertragenen Tierseuchen gehören nebst BTV noch knapp zehn weitere, darunter die Afrikanische Pferdepest, das West-Nil-Fieber oder die Japanische Enzephalitis. Im Gegensatz zu Tierseuchen wie der Vogelgrippe oder der Maul- und Klauenseuche breiten sie sich nicht direkt von Tier zu Tier aus, sondern brauchen Vektoren. Ist der Erreger auf seinen fliegenden Lieferdienst angewiesen, dauert es etwas länger, bis sich die Krankheit ausbreitet. «Denn die Gnitzen sind nach dem Stich eines kranken Tieres erst nach drei bis sieben Tagen infiziert», erklärt Kubacki, «und sie bleiben es ein Leben lang.» So muss man wachsam sein: Nebst dem Leiden der kranken Tiere und dem finanziellen Schaden für die Tierhaltenden kann die Wirtschaft einer ganzen Branche von einer Tierseuche betroffen sein. Etwa durch Einschränkungen im internationalen Handel von Tieren und tierischen Produkten. 

In der Schweiz informiert das IVI bei einem positiven Fall das BLV, welches schliesslich über Massnahmen entscheidet. Mitte Juli, nachdem mehr als drei Jahre lang kein Fall der Blauzungenkrankheit aufgetreten war, hatte das BLV seine Verordnung über Massnahmen zur Verhinderung der BTV-Ausbreitung aufgehoben. Nur wenige Wochen später stellte Jakub Kubacki als einer der allerersten fest: Die Blauzungenkrankheit ist wieder da. Sein Team schaltete gut vorbereitet auf Krisenmodus um, um tausende von Blutproben auf das Gnitzengepäck zu untersuchen und so einen zentralen Beitrag zu seiner Bekämpfung zu leisten.

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