Ein galanter und gepflegter Mann öffnet die Tür, tritt einen Schritt zurück und gewährt Eintritt in sein Haus. Im Inneren unterstreicht die Einrichtung das höfliche und bescheidene Wesen des ältesten Mühlebergers. Einem Mann, der nie von sich selber als «interessant» spricht, sondern immer nur von den Ereignissen.
Der Käser
Von diesen gab es in 100 Jahren mehr, als es Zeilen in dieser Zeitung gäbe. Etwa wie der Käserlehrling im fernen Aargau mit dem rüppelhaften Getue eines Käsermeisters auszukommen hatte, als dieser keine Milch mehr bekam, weil die Eidgenossenschaft beschloss, den Milchvorrat wegen des Weltkriegs einzufordern. Diese und weitere Strapazen hinderten Hans Hirsig nicht daran, seine Käser-Lehre zu beenden. «Weil ich im Aufsatz an der Abschlussprüfung ziemlich patriotisch über den 1. August 1941 geschrieben habe, bekam ich viel Lob und damit Zugang zur Molkereischule», schmunzelt er. Nach der Molkereischule folgte die Meisterprüfung. Dem jungen Käsermeister war es in der Folge verwehrt, eine Käserei zu übernehmen. «Es ist interessant zu wissen, dass es damals nur wenige Wechsel in den Käsereien gab und oft musste man Geld haben, um Milch einkaufen zu können, und das hatte ich damals nicht», erklärt er. Daher konnte er die Käserei Wünnewil nicht übernehmen, weil er hierfür schon damals 20’000 Franken hätte ausgeben müssen. So war Hirsig 22 Jahre lang als Kellermeister vor allen Dingen damit beschäftigt, den Käse auszuliefern.
Der Soldat
«Gerade als ich die Molkereischule abschloss, erfuhren wir von den Bomben, die über Schaffhausen niedergingen», erinnert sich Hirsig. Eine Nachricht, die ihn besonders betraf, denn der Infanteriesoldat war während der Lehre in den Aktivdienst einberufen worden und musste ein Jahr lang die Schweizer Grenze bewachen. Aber nicht nur die Infanteristen standen mit dem Gewehr bei Fuss während der Generalmobilmachung. «Jeder der 2 Hände hatte, bekam ein Gewehr», verdeutlicht er. Es stört ihn, dass heute von einigen die Coronakrise mit dem zweiten Weltkrieg verglichen wird. Er hat beides erlebt und sieht zwischen diesen beiden Ereignissen doch beträchtliche Unterschiede. Trotz der einschneidenden Erfahrungen in den Kriegsjahren, Hans Hirsig verliert kein wehklagendes und kein heroisches Wort über sich. Ruhig, bescheiden und klar fasst er zusammen, was an Ereignissen in seinem Leben «interessant» war, wie er zu sagen beliebt.
Der Abwart
Dazu gehört der Wechsel vom Kellermeister zum Kernkraftwerk Mühleberg. Eine Entscheidung, die vor ihm viele getroffen haben und ihn damit beeinflusst haben. «Als ich mich für eine Stelle beim Kraftwerk interessierte, waren nur noch die Posten Wächter und Abwart frei. Abwart ist abwechslungsreich und gefiel mir, zudem war ich fortan näher bei meiner Familie», begründet er die Entscheidung, weshalb er nach 22 Jahren als Kellermeister die Stelle wechselte. Seine Aufgaben waren in der Tat vielfältig. Täglich verteilte er die Post und «es war interessant die verschiedenen Charaktere in der Chefetage zu erleben», erinnert er sich. Zudem gehörte 14 Jahre lang zu seinen Aufgaben, dass er den Schulbus für den Kindergarten fuhr. «Noch heute kennen mich Leute im Dorf aus dieser Zeit», schmunzelt Hirsig.
Der jassende Hornusser
Da er fortan unweit von seinem Heim in Allenlüften zur Arbeit ging, nutzte er die Zeit, um seine Vorlieben auszuleben. Das Schiessen, das Hornussen und das Jassen unterstreichen, dass er urschweizerische Hobbies pflegte. «Zu meiner jetzigen Jassrunde kam ich, weil ein viel jüngerer Mann verstarb und ein Platz frei war. Ich wollte zuerst sichergehen, dass es eine gemütliche Runde wird, denn ich mag all zu starken Ehrgeiz am Jasstisch nicht», zeigt er einmal mehr seine höfliche Art auf.
Der Familienmensch
Diese schätzte auch seine Frau Marianne. «Ich wohnte noch lange zuhause und hatte während der Käserei-Zeit kaum die Möglichkeit, eine Frau kennen zu lernen», erklärt der fünffache Vater, weshalb er erst Mitte 30 heiratete. Eine Wirtstochter. Sie war gerade im Service, als sie erfuhr, dass der Kellermeister 2 VW-Käfer sein Eigen nannte. Sie fragte den höflichen Mann, ob sie wohl einmal mit ihm mitfahren könne, weil sie doch gerade dabei sei, das Fahren zu erlernen. «So begann unsere Liebe», erzählt er während sein Blick auf das Bild der vor 15 Jahren verstorbenen Marianne wandert. Es vergehen ein paar Sekunden der Stille, ehe Hans Hirsig einmal mehr von «interessant» spricht. Wieder geht es nicht um ihn, sondern diesmal um seine Kinder. Mit Stolz, Freude und Zuversicht erzählt er von ihrem Leben und ihrem Wirken.
Interessant sind aus seiner Sicht viele Ereignisse und das Leben seiner Liebsten. Aus Sicht des Dorfes aber ist sein Leben als Ganzes interessant. Hans Hirsig, ein 100-jähriger Mann, der uns alle an wichtige Werte erinnert: Höflichkeit und Bescheidenheit. Er ist der Gentleman von Mühleberg.


