«Der heutige Pop ist das moderne Volkslied»

«Der heutige Pop ist das moderne Volkslied»

Der «Gemischte Chor Thun» führt am 15. September im Kirchgemeindehaus das ambitionierte Konzert «Einzigartig – Andersartig – Mundartig» auf. Im Interview spricht Chorleiterin Christine Lüthi über Volkslieder, Mundartrock, Schweizer Wasser und Büetzer Buebe.

Christine Lüthi, worin sehen Sie den Zusammenhang zwischen alten Volksliedern und modernen Mundart-Songs?
Letztendlich unterscheiden sich der moderne Popsong und das Volkslied zwar in ihrer Ausgestaltung/Art, jedoch nicht in ihrem Zweck: Der heutige Pop ist das moderne Volkslied. Er hat dessen Platz eingenommen. Somit singen wir alte und moderne Lieder für das Volk – Gebrauchsmusik, die unterhalten und den Alltag der Menschen aufheitern will – früher wie heute. Unser Mundartrock hat schon lange eine hohe Qualität – natürlich nicht alles, aber vieles überdauert doch schon seit Jahren («Span», «Patent Ochsner», «Züri West»). Auch in der Sparte der Liedermacher finden sich grosse Kapazitäten (Mani Matter, Bernhard Stirnemann, Peter Reber). Es folgen ihnen heute Gruppen und Liedermacher nach, die sich mit den Koryphäen der letzten Jahrzehnte messen dürfen.

Was ist heute angesagt?
Tradition neu beleben, sich auf die musikalischen Werte der Vergangenheit besinnen und sie achtsam mit der modernen Kultur verweben. Das ist heute der grosse Trend. Sehr erfreulich! Auf diese Welle aufzuspringen und als Laien-Chor einen kleinen Beitrag in diese Richtung beizutragen, erfordert Mut.

Sie sind seit vergangenem Sommer daran, Mundart-Popsongs für den gemischten Chor neu vierstimmig zu setzen. Worin besteht diese Arbeit im Detail?
Das Arrangieren von Popsongs für einen vierstimmigen Chor steht in keinem Verhältnis zu der normalen Probenvorbereitung: Bis ein solcher Satz hieb- und stichfest ist, also das originale Lied erkennbar wiedergibt, den kompositorischen Kriterien gerecht wird und für die Chorsänger singbar ist, habe ich mindestens 1 bis 2 Arbeitstage investiert. Das reine Umdichten englischer Songs ins Berndeutsche geht mir leichter von der Hand.

Worauf achten Sie beim Umdichten?
Ich achte dabei stets darauf, dass der berndeutsche Text auf die bestehenden Betonungen der Melodie passt. Ausserdem soll er so nahe wie möglich am Originaltext bleiben und die gleiche Aussage haben. Manchmal scheint es vorerst keinen Weg zu geben, um alle Kriterien unter einen Hut zu bringen. Aber dann öffnet sich plötzlich nach genügend Grübeln und Brüten ein Türchen. Der Aufwand ist immens.

Welches ist Ihr persönlicher Bezug zu Liedern wie…
…Louenesee (Span)?
Ein Song aus meiner Jugend! Er begleitet mich ebenso lange wie «’s isch äbene Mönsch uf Ärde».
…Sennesinger (Trauffer)?
Einfach coole Musik eines modernen Liedermachers, der einen ganz eigenen Stil entwickelt hat. Traditionsverbunden, aber modern gelebt.

…W.Nuss vo Bümpliz («Patent Ochsner»)?
Auch das ein Song, der wegen seiner Einzigartigkeit noch lange gehört und gesungen werden wird. Ein surrealer Text mit einer packenden Melodie, spannend komponiert – ein Meisterwerk!

…Si hei dr Wilmhäll Täll ufgfüert?
Mani Matter gehört schon seit jeher zu meinen Favoriten: Für mich ist er der genialste Schweizer Liedermacher des 20. Jahrhunderts!

…’s Wasser vor Schwiz isch so guet?
Das Original der Kölner Gruppe «Bläck Fööss» nahm in den 80er-Jahren die starke Verschmutzung des Rheins aufs Korn. Mich hat schon immer ein ernster Fingerzeig, der in einer positiven Form wie einem Lied verpackt ist, beeindruckt. Deshalb habe ich mich gefreut, als unsere Präsidentin – ursprünglich aus Köln kommend – mit dem Vorschlag kam, das Lied ins Berndeutsche zu übertragen und aufzuführen. Die Verschmutzung unserer Gewässer mit Nanopartikeln aus Plastik und Kunststoff ist ein brandaktuelles Problem. Und auch wir «sauberen» Schweizer tragen dazu bei, dass der Müllberg in den Meeren immer schlimmer wird.

…Wältgsang / Earthsong?
Mein Favorit unter Michael Jack­sons Songs. Wir hören uns oft englische Lieder an, aber hören wir wirklich richtig hin? Erfassen wir das Anliegen des Songschreibers? Die Idee, den «Earthsong» ins Berndeutsche zu übertragen, stammt von einem ehemaligen Chormitglied. Wir wollten die eindringliche Anklage besser verständlich machen, so dass sie gehört und aufgenommen wird. Aus diesem Grund musste der berndeutsche Text dem Original möglichst exakt entsprechen.

Was sagen Sie zum Projekt «Büetzer Buebe» von Trauffer und Gölä?
Trauffer ist gelungen, was vielen heute nicht mehr gelingt: Er hat einen eigenen Stil entwickelt. Davor ziehe ich meinen Hut. Das gleiche gilt für Gölä. Chapeau, wem es gelingt, seinen eigenen Sound zu finden. Auf das neuste Projekt von Trauffer und Gölä angesprochen antworte ich ehrlich, dass ich dieses nur noch für reinen Kommerz und Geldmacherei halte. Jeder der Musiker für sich hat seinen verdienten Platz in der Schweizer Musikszene, aber das gemeinsame Projekt ist enttäuschend und lebt nur vom Ruhm beider Namen. Wären die beiden noch völlig unbekannt mit dieser CD in der Schweizer Musikwelt aufgetaucht, sie wären gleich wieder in der Versenkung verschwunden.

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