«Der Kanton soll nicht zum Museum werden!»

«Der Kanton soll nicht zum Museum werden!»

Der ehemalige Könizer Gemeindepräsident Luc Mentha ist seit einem Jahr Präsident des «Berner Heimatschutzes». Im Interview erklärt er sein Verständnis von Heimatschutz, sagt, welches zurzeit die grössten Herausforderungen für den Verein sind und weshalb der Heimatschutz vermehrt politischem Gegenwind ausgesetzt ist.

Luc Mentha, weshalb engagieren Sie sich für den Heimatschutz?
Bauen, Architektur und Raumplanung sind Themen, die mich immer interessiert haben. Im Verlauf meiner beruflichen Laufbahn habe ich dazu eine gewisse Affinität entwickelt. Besonders angezogen hat mich die Thematik während meiner Zeit als Könizer Gemeindepräsident. Die Fragestellungen, die wir in diesem Zusammenhang behandelt haben, zählten zu den spannendsten meiner damaligen Tätigkeiten. Die Verleihung des «Wakkerpreises» an die Gemeinde im Jahr 2012 war ein Höhepunkt in meiner Amtszeit. Dass wir den Preis erhalten haben, hat mich extrem gefreut. Nach meinem Rücktritt als Gemeindepräsident hat mich der Berner Heimatschutz zur Mitarbeit angefragt, was ich gerne angenommen habe.

Was bedeutet Ihnen Heimatschutz?
Baukultur ist Heimat. Heimat gibt uns Identität, das Gefühl, irgendwo zuhause zu sein, unsere Wurzeln zu spüren, und zu sehen, woher wir kommen. Deshalb müssen wir unsere Baukultur schützen. Wir müssen die alten, wertvollen Bauten, Ortsbilder, Gebäudegruppen und auch die Kulturlandschaften unbedingt für die kommenden Generationen erhalten. Motivierend kommt hinzu, dass ich die Aufgabe des Schutzes des Baudenkmals nicht statisch verstehe, sondern dynamisch. Deshalb möchte ich nicht, dass der Kanton Bern zu einem Museum wird. Ich bin nicht nur fasziniert von alten schönen Bauernhäusern, der Berner Altstadt oder dem Ortsbild von La Neuveville, sondern auch von qualitativ hochstehender, moderner Architektur. Wir müssen einen alten Bau weiterentwickeln, aber moderne Architektur ebenfalls fördern können. Als Beispiel der «Green Tower», das filigrane, mit Pflanzen bewachsene Hochhaus in Kleinwabern. Ich finde es eine äusserst gelungene Architektur und bin persönlich überzeugt, dass das neue «Wahrzeichen von Wabern» dereinst in 30 Jahren zu einem schützenswerten Baudenkmal werden kann.

Viel liegt Ihnen am Erhalt wertvoller alter Bausubstanzen integriert in einer Neuüberbauung. Weshalb?
Eine Siedlung gebaut auf einer grünen Wiese mag schön sein, muss aber zuerst belebt werden. Sie gewinnt nur allmählich an Charakter. Ein Baufeld, wie zum Beispiel das alte Gurtenbrauereiareal in Wabern, das mit modernen Bauten für Wohnungen und schönen alten Gebäudeteilen, die neue Nutzungen erhalten, kombiniert wird («Projekt Quellfrisch»), hat von Anfang an mehr Charakter und die Bewohner fühlen sich viel schneller heimischer als auf der grünen Wiese. Deshalb bin ich, wo immer realisierbar, ein Anhänger davon, alte Bausubstanzen zu erhalten und mit modernen Bauten zu kombinieren. Beim «Projekt Quellfrisch» mussten wir den Investor für den Erhalt wesentlicher alter Bausubstanzen gar nicht erst überzeugen. Bei anderen Konzepten, bei denen Investoren alles abreissen wollen, müssen wir vom Berner Heimatschutz mitunter mit Einsprachen und Beschwerden intervenieren.

Dem Heimatschutz weht vermehrt rauer Wind entgegen. Weshalb?
In der Junisession 2016 hat der Grosse Rat beschlossen, rund ein Drittel aller im Bauinventar erfassten Baudenkmäler zu streichen. Das sind ca. 11’000 Objekte. Wir haben uns gegen die Reduktion gewehrt, konnten uns auch teilweise durchsetzen. Ursprünglich gingen die Bestrebungen zur Reduktion noch weiter. Den Entscheid bedauern wir sehr, er bringt jedoch klar zum Ausdruck, dass es politische Kräfte gibt, die den Schutz von wertvollen, erhaltenswerten Bauten zurückdrängen wollen, um mehr Handlungsspielraum beim Bauen zu erlangen. Dies ist Teil des politischen Gegenwindes. Zurzeit befasst sich die Kantonale Denkmalpflege mit der etappenweisen Überprüfung des Bauinventars. Die rechtliche Inkraftsetzung soll spätestens 2023 erfolgen.

Wo liegen die Herausforderungen?
Bei der Siedlungsentwicklung, aber auch in der Landwirtschaftszone ist ein erhöhter Druck ausgehend von Bauherren und Investoren spürbar. Mit dem Paradigmenwechsel bei der Siedlungsentwicklung ist man vom Einzonen neuer Bauzonen weggekommen und realisiert nun die Siedlungsentwicklung nach innen, also das Verdichten bestehender Baulücken oder bestehender Zonen. Das hat zur Folge, dass im Innern der Siedlungen der Druck auf Verdichtung und damit auch der Druck auf geschützte und schützenswerte Ortsbilder steigt. Die Investoren wollen beim Bau massiv verdichten, um möglichst hohe Ausnützungsziffern zu realisieren, was oft mit dem Wunsch nach Abreissen der Häuser und dem Errichten eines Neubaus verbunden ist. Wir vom Heimatschutz stehen da im Spannungsfeld zwischen Ortsbildschutz und Siedlungsentwicklung nach innen.

Bei den Landwirtschaftszonen erhöhen namentlich bäuerliche und gewerbliche Kreise den Druck zur Umnutzung bestehender landwirtschaftlicher Bauten als Wohn- oder Gewerbehäuser, obwohl bereits heute zig Ausnahmen möglich sind. Eine Ausnahme erlaubt zum Beispiel Artikel 24c des Raumplanungsgesetzes, wonach ein denkmalgeschütztes Haus in der Landwirtschaftszone, das nicht mehr für die Landwirtschaft genutzt werden kann, unter Einhaltung denkmalpflegerischer Vorgaben zu einem Wohnhaus umgenutzt werden darf. Ein gelungenes Beispiel dafür ist das schmucke Bauernhaus «Weyergut» in Wabern, das Wohnraum für neun Parteien bietet.

Der Schweizer Heimatschutz ist Mitinitiant der Doppelinitiative Biodiversität und Landschaft. Was bezweckt diese?
Der Trägerverein «Ja zu mehr Natur, Landschaft und Baukultur» und die vier Verbände «Pro Natura», «BirdLife Schweiz», der «Schweizer Heimatschutz» und die «Stiftung Landschaftsschutz» haben eine Doppel­initiative für Biodiversität und Landschaft lanciert. Die Biodiversitätsinitiative will im Grundsatz die Artenvielfalt in der Schweiz mit den dazu erforderlichen Massnahmen sichern. Die Landschaftsinitiative sieht verschiedene Massnahmen gegen die Verbauung vor. Sie soll die Landwirtschaftszonen schützen, damit sie weiterhin primär für Agrarbauten reserviert ist. Bei beiden Initiativen sind wir mit bereits je rund 100’000 Unterschriften auf Zielkurs. Ursprünglich wollten wir beide Initiativen im April einreichen. Aufgrund des behördlich verordneten Unterbruchs der Unterschriftensammlung wegen Covid-19 und der damit verbundenen Fristverlängerung wollen wir ab Juni weitere Unterschriften sammeln und die Initiativen im September einreichen.
Sind junge Menschen überhaupt am Heimatschutz interessiert?
Ja. In den Sektionen und in einigen Regionalgruppen haben wir auch junge Architektinnen und Kunsthistoriker in den Gremien. Um vermehrt junge Leute für den Verein zu gewinnen, bieten wir eine attraktive Jugendmitgliedschaft (bis 30 Jahre) mit reduzierten Mitgliederbeiträgen an. Als Mitglied hat man verschiedene Vorteile wie die Teilnahme an Führungen, Tagungen sowie Vorträgen und erhält verschiedene Publikationen. Die Regionalgruppen organisieren jedes Jahr attraktive Programme mit Exkursionen. Unsere Stiftung «Ferien im Baudenkmal» ermöglicht Urlaub in historischen Gebäuden, wozu Vereinsmitglieder vergünstigt Zugang haben. Die schweizweit lancierte Publikation unter dem Titel «Die schönsten Hotels in der Schweiz» ist wegen grosser Nachfrage zurzeit vergriffen und wird nun neu aufgelegt.

Teilen Sie diesen Bereich

Beitrag:
««Der Kanton soll nicht zum Museum werden!»»

Die meistgelesenen Artikel

Kontakt

Datenupload

Der einfachste Weg uns Ihre Daten zu senden!

Werbeberatung

Schritt 1 von 2