Eines vorneweg: Moore sind selten geworden, Hochmoore noch seltener. Der Schutz solcher Landstriche ist von nationaler Bedeutung und wird keineswegs bestritten. «Kein Lebensraum wurde in den letzten 150 Jahren derart dezimiert oder als wertlose Restfläche gehandelt, und kein Lebensraum untersteht heute einem solch rigorosen Schutz», schreibt das Bundesamt für Umwelt zum Thema Moorschutz. 90 % dieser Flächen sind verschwunden, im Gantrischgebiet ist eine der grössten noch verbleibenden Flächen der Schweiz. «Ein ganzes Ökosystem hat sich an diese speziellen, nährstoffarmen Bedingungen angepasst. Moorlandschaften sind wertvoller Lebensraum und CO2-Speicher», sagt der Naturpark Gantrisch. Der vorliegende Sachverhalt zielt also nicht gegen den Schutz solcher Gebiete, sondern gegen die Art und Weise, wie er vollstreckt wird.
Juristisch brutal
Rüschegg, Guggisberg und Riggisberg. Grossflächige Gemeinden mit viel Landwirtschaft an exponierten Stellen, steilem Gelände oder auf nährstoffarmen Böden. Besonders geeignet sind solche Flächen gerade deshalb für die Weidewirtschaft. Heuen und bestossen, ob mit Kühen, Schafen oder Geissen. Seit Jahrhunderten ist das im Gantrischgebiet Tradition. Grossbauern sind in diesem Gebiet selten. Kleinbetriebe, in denen die Tiere noch Namen haben, sind der Normalfall. Einige von diesen Kleinbauern dürfen ihre Weiden nicht mehr bestossen, geschweige denn heuen. Nur wissen sie das gar nicht. Aber wehe sie tun es trotzdem. Auftritt Bundesamt für Umwelt. Wird ein Gebiet unter Schutz gestellt, bedeutet dies: «Die land-, alp- und forstwirtschaftliche Nutzung sowie eine allfällige Nutzung für Tourismus und Erholung werden dem Schutzziel untergeordnet.» So steht es im Artikel 78 Absatz 5 der Bundesverfassung. Dieser geht auf die Rothenturm-Initiative aus dem Jahre 1987 zurück. Der Landbesitzer hat also nichts zu sagen, hier herrscht ein übergeordnetes Recht.
Wie im Mittelalter
Ob eine Fläche nun inventarisiert wird oder nicht, das entscheidet das Bundesamt. Der Kanton wird informiert und hat 30 Tage Zeit, Stellung zu beziehen. Die Gemeinde kann innerhalb von 14 Tagen angehört werden, sofern sie überhaupt Kenntnis hat, denn informiert werden muss sie nicht. Und wer fehlt gänzlich in dieser Reihenfolge? Richtig. Der Besitzer des Landes. Er wird nicht informiert. Über seine Haarpracht hinweg wird über sein Land entschieden – mit fatalen Folgen für seine Existenz. Egal, ob diese Fläche schon in der siebten Generation genau so bestellt wird wie heute. Grossrat Reto Zbinden (SVP) macht das wütend: «Eigentum wird nicht berücksichtigt. Es ist eine moderne Art der Enteignung.» Fast erinnert das Gebaren ans Mittelalter, an jene Zeit, in der die Hochwohlgeborenen am Tisch bei Speis und Trank über ihre Ländereien verfügten, während die Bauern ihr Land verloren und Hunger litten.
Perspektivenwechsel
Willkommen im digitalen Zeitalter mit seinen Tücken. Der Besitzer müsste sich quasi regelmässig selbst informieren gehen, um auf dem Inventar herauszufinden, ob er noch beweiden darf oder nicht mehr. Quasi ein neues Hobby. Der Anstand und Respekt, dass man miteinander redet, informiert und hinsteht, er ist dem digitalen Eroberungsheer bitterlich zum Opfer gefallen. Der nächste Satz stützt sich weder auf einen Artikel in der Bundesverfassung noch auf anderweitige Gesetze, sondern auf die Abteilung «Gesunder Menschenverstand, Höflichkeit, Anstand und Respekt»: Man müsste doch meinen, dass ein Landeigentümer informiert werden muss, wenn sich die Nutzungsbedingungen seiner eigenen Scholle ändern. Der Kanton Bern informiert immerhin freiwillig die Gemeinden. Der Bund handelt sicherlich juristisch korrekt, aber moralisch verwerflich.
«Bei Bauprojekten laufen ja Mitwirkungen und alle werden miteinbezogen. So stelle ich mir das vor. Hier wird aber einfach am Betroffenen vorbei entschieden», sagt Zbinden. Als Grossrat kann er wenig daran ändern, national aber hat er einen Verbündeten gefunden: Nationalrat Hans Jörg Rüegsegger wird sich der Sache annehmen. «Affaire à suivre» (Fortsetzung folgt). Derweilen gibt es aber Fallbeispiele aus der Landwirtschaft im Gantrischgebiet, die in ihrer Existenz bedroht sind. Sie bleiben hier unerwähnt, aus Respekt und Rücksichtnahme, denn aus emotionalen Gründen ist es schwer, Stellung zu beziehen. Es sind Menschen, die einen Schicksalsschlag erlitten haben: eine geheime Enteignung.