Julia Nacht, Sie haben uns gesagt, dass Sie im Oberaargau aufgewachsen sind. Seit wann wohnen Sie im Liebefeld – und welche Ausbildung haben Sie abgeschlossen?
Ich wohne seit vier Jahren im Liebefeld. Gelernt habe ich Buchhändlerin. Ich übe den Beruf auch heute aus.
Sorry… ist das Lesen von Büchern nicht auf dem absteigenden Ast?
(Energisch) Woher haben Sie denn Ihre Informationen? Das Gegenteil ist der Fall, vor allem, weil Jugendliche wieder den Weg zu den Büchern gefunden haben.
Staunen erlaubt. Wie kommt denn das?
Ob Sie es glauben oder nicht: TikTok & Co. haben den Erfolg eingeläutet. In der heutigen digitalen Ära haben Influencer eine enorme Reichweite und Macht in den sozialen Medien aufgebaut. Sie beeinflussen Millionen von Menschen und haben die Fähigkeit, Trends zu setzen und Meinungen zu formen. Auch bei Büchern.
Die Dubai-Schoggi lässt grüssen…
Zum Beispiel. In unserer Branche ist es so, dass Influencerinnen und Influencer Bücher empfehlen, ihre Followerinnen und Follower kommen dann zu uns, wollen die besagten Bücher kaufen. Überhaupt ist das Internet für Buchhandlungen sehr wichtig geworden. Erinnern Sie sich? Noch vor zehn Jahren waren alle Leute im Tram mit dem Lesen von Gratistageszeitungen beschäftigt. Und heute? Kaum jemand liest noch Print-Tageszeitungen, im ÖV gucken alle ins Handy.
Wie fast überall…
Stimmt. Kürzlich habe ich eine Frau gesehen, die sich bei der Tramstation nicht wie alle anderen mit dem Handy beschäftigte. Sie hat ein Buch gelesen. Mir ist das Herz aufgegangen, ich hätte sie am liebsten umarmt! Interessant ist in diesem Zusammenhang übrigens auch, dass die Zahl der E-Reader rückläufig ist. Klar, während der Ferien ist das praktisch, aber viele lesen wieder Bücher.
Der Grund dafür?
Man hat etwas Festes in den Händen, kann sich darin zum Beispiel Notizen machen, aus welchen Gründen auch immer. Nimmt man das Buch später einmal aus dem Regal, kommen beim Lesen der Notizen durchaus Erinnerungen auf.
Spielt Netflix eine Rolle bei der Entwicklung?
Ja, unbedingt, denn viele der Netflix-Produktionen basieren auf Büchern. Viele Leute interessieren sich nach den Serien für die ursprünglichen Wurzeln der Filme.
Wo findet Buchhändlerin Julia Nacht ihre bevorzugten Bücher? Was interessiert Sie ganz besonders?
Privat und persönlich habe ich ein Faible für Osteuropa und den Nahen Osten. Ich finde diese verschiedenen Kulturen faszinierend, in jeder Beziehung. Diese Regionen habe ich schon mehrmals bereist.
Ich unterstelle Ihnen einmal, dass Sie auch Literatur aus diesen Regionen lesen. Haben Sie bevorzugte Autorinnen oder Autoren?
Ihre Unterstellung trifft zu (schmunzelt). Ich mag zum Beispiel den Schreibstil der Türkin Elif Shafak, die sich auch kritisch mit gesellschaftspolitischen Problemen auseinandersetzt, mit einer unglaublichen Passion. Sie gehört zu den meistgelesenen Schriftstellerinnen in der Türkei sowie zu den türkischen Schriftstellern mit hohem Bekanntheitsgrad im Ausland. Ihre Werke wurden in über 50 Sprachen übersetzt.
Kritische Literatur in der Türkei?
Nein, Sie ahnen richtig, über die Türkei, sie lebt im Exil in London. Wen ich auch mag: Lana Bastašic. Sie ist eine bosnische Schriftstellerin und wurde mit dem Literaturpreis der Europäischen Union 2020 für Bosnien und Herzegowina ausgezeichnet. Ich habe soeben ihr Buch «Fang den Hasen» gelesen. Es handelt von zwei Freundinnen, die nach dem Krieg in ihre Heimat zurückkehren. Fast nichts ist mehr wie früher. Die Geschichte geht unter die Haut.
Wie haben Sie Zugang zu den Büchern gefunden?
Da müssen wir in meine Kindheit zurück. Mein Vater hat mir jeweils aus Büchern vorgelesen, Geschichten von Erich Kästner. Aber auch «Die Wilden Hühner» von Cornelia Funke.
Schlussfrage: Wie kommen Sie mit den Online-Bestellungen im Ausland zurecht, wo Bücher meistens billiger sind?
Wir können viele Bücher innerhalb von 24 Stunden bestellen. Bei Online-Bestellungen liegen noch die Tage für den Versand dazwischen, deshalb dauert es länger. Zudem: Wir spüren, dass die Kundschaft persönliche Beratung vermehrt wieder schätzt. Wir geben uns auch in der Auslage Mühe, Bücher und Nonbooks zu präsentieren, auf die man im Onlineshop in diesem Zusammenhang nicht stossen würde. Was nicht heisst, dass ich den Onlinehandel verteufle, im Gegenteil, er ist für uns eine wichtige Einnahmequelle. Aber wenn wir wollen, dass Buchhandlungen am Leben bleiben, sollten wir sie vor Ort unterstützen.