Man trifft sie im und rund um den Bahnhof, in Decken und Jacken gehüllt unter Berns Lauben oder zusammengerollt auf Parkbänken. Obdachlose Menschen sind für viele Teil unserer alltäglichen Begegnungen – und trotzdem begegnen wir ihnen meist nie richtig. Viele von uns rauschen geschäftig an ihnen vorbei, die hingehaltenen Pappbecher ignorierend. Falls sich die Blicke kreuzen, schauen wir schnell wieder weg und schütteln, den Mund zu einem schmalen Lächeln verzogen, den Kopf.
Bei mir bleibt ein unbehagliches Gefühl hängen, welches mich noch einige Schritte weiter begleitet. Wie verhalte ich mich korrekt, wenn ich Obdachlosen begegne und um Geld gebeten werde? Gebe ich Geld oder nicht? Sollte ich den Menschen nicht besser unaufgefordert etwas zu essen und zu trinken bringen? Oder soll ich stehen bleiben, das Gespräch suchen? So viele Fragen, die mir durch den Kopf jagen, während ich den Obdachlosen schon lange hinter mir gelassen habe. Doch kann ich mir einen Blick zurück nicht verkneifen. Ein Mann, der auf den Knien mit gesenktem Kopf und hingehaltenem Pappbecher, um Geld bettelt. Ich weiss nichts über diesen Menschen, und doch machen sich in meinem Kopf sofort alle möglichen Annahmen breit, warum er dies tut. Lange überlege ich, ob ich zurückgehen und ihn ansprechen soll. Doch ich entscheide mich letztendlich dagegen und ziehe weiter. Diesen Mann aber habe ich nicht vergessen, und ich habe mir fest vorgenommen: Das nächste Mal werfe ich nicht bloss einen Blick zurück, sondern gehe auch einen Schritt zurück und schenke dem Menschen zumindest etwas von meiner Zeit. Zeit, um hinzuhören, hinzusehen und hinzufühlen. Denn meiner Meinung nach haben wir alle eine gewisse Verantwortung füreinander – unabhängig davon, welchen sozialen Status wir haben.