Als ich reinkomme, das vermutlich heute überall herrschende Tohuwabohu, das sich nach einigen Augenblicken legt. Zuhinterst in der Mitte 3 junge Herren, denen man(n) demonstrativ ansieht, dass die kommende Stunde sie total xxx. Einer davon, der offensichtliche Wortführer, hockt grossartig in einem Pulli «DEUS MAXIMUS» da, mit der Unterzeile «Since MCMLXXXIV». Über die Achseln und den Ärmeln entlang güldene Lorbeerkränze aufgestickt. Um den Hals eine (wohl falsche) Goldkette, so richtig «Mucho Macho», die Frisur ebenso. Très chic. Zuhören ist nicht angesagt (wozu denn?), er schnörret ständig mit seinen Nachbarn, also nehme ich ihn mir zur Brust, frage ihn, ob er an meiner Stelle vortragen möchte. Scheint nicht der Fall zu sein.
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– «Sag mal, dein Pulli, ‹DEUS MAXIMUS›, was heisst das?»
– «Heisst was was?»
– «Deus maximus ist Latein, was heisst das, was gross auf Brusthöhe steht?» (Die ersten Schüler drehen sich zu ihm um, interessiert.)
– «Ist Label von Kollegah, kennen Sie Kollegah?»
– «Sicher doch, deutscher Rapper mit zweifelhafter Vergangenheit. Zusammen mit Farid Bang.» (Die ersten Mitschüler beginnen zu schmunzeln.)
«Was ist jetzt mit dem Namen?»
– «Keine Ahnung, Mann. Ist das wichtig?»
– «Nein, nicht wirklich, aber mich würde schon interessieren, was ich da coram publico zur Schau trage.» (Hat er offenbar nicht geschnallt, was coram publico heisst, also verdeutsche ich ihm das.)
– «Ist von Kollegah, das reicht.»
– «Ich schätze, das heisst ‹Gott ist maximal gross› oder ‹Grosser Gott›. Und was ist mit den Buchstaben?»
– «Was für Buchstaben?»
– «Unter ‹DEUS MAXIMUS›, C und M und L und X und so.»
– «Keine Ahnung.» Ich erkläre es ihm, die Mitschüler scheinen den Plausch zu haben (lernen gerade dazu), er weniger. Braucht er nicht, eine öffentliche Belehrung durch den alten Mann.
Einige Minuten später, er quatscht wieder mit seinen Nachbarn.
– «Sag mal, ‹DEUS MAXIMUS›, kennst du dafür den Rapper Killer Mike?»
– «Wer soll das sein?»
– «Ist im Moment der berühmteste Rapper auf der Welt.»
– «Kenne ich nicht.»
– «Geh mal auf Google, gib seinen Namen und den Zusatz Atlanta ein. Killer Mike hat eine unglaubliche Rede gegen Rassismus gehalten.» (Die ersten Kids beginnen auf ihren Tablets zu suchen…)
– «Und?»
– «Das enttäuscht mich jetzt wirklich, dass du Killer Mike nicht kennst. Aber schau dir seine Rede an, 8 Minuten, es gibt sie auch mit deutschen Untertiteln.»
– «Ist das wichtig, Mann?»
– «Ja, ist es, weil sie einige Tage nach dem Tod von George Floyd aufgenommen wurde. in Atlanta, wo es nachher einen von der Polizei erschossenen Amerikaner mit afrikanischen Wurzeln gab. Die Rede ist ein Zeitdokument, ein wichtiges gegen Rassismus.»
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Damit hatte ich mein Pulver verschossen. En passant sagte ich später einige Worte zu meinem für 2021 geplanten Buch, in dem es um Drogen und gefälschte Uhren geht. Für Recherchen zu Drogen sei ich in Berlin gewesen, vor allem an einem berüchtigten Ort. «DEUS MAXIMUS» meldet sich.
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– «Wo in Berlin, wegen Drogen?»
– «In verschiedenen. Einen Ort verrate ich Euch, weil bekannt. Im Görlitzer Park.»
– «Waren Sie nicht in Kreuzberg?»
– «Der Görlitzer Park liegt in Kreuzberg.»
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Item, nach der Stunde fragt er mich, was ich für eine Uhr trage. Noch bevor ich antworten kann, zeigt er mir seine goldene Rolex. Wohl eine Replica.
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– «Rolex? Tragen junge Leute Rolex? Ist das nicht für die Kapitalisten?» Hat er vermutlich nicht begriffen, was damit gemeint ist, auf alle Fälle haben wir uns hochanständig voneinander verabschiedet. Lachend. Merke: Beide haben wir etwas gelernt.
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Läck mir! Lehrer sein ist heutzutage kein Ponyhof. «Mein» Lehrer meinte nämlich, er könnte sich eine solche Konfrontation nie erlauben…