Dieser hatte nämlich anlässlich der Wintersession 2019 eine neue Bestimmung ins Gesetz aufgenommen, die vorsieht, dass die kantonale Migrationsbehörde beim Bund ein Härtefallgesuch oder einen Antrag auf Verlängerung der Ausreisefrist stellt. Damit könnten Abgewiesene mit Lehrstelle ihre Ausbildung beenden.
Das erste Urteil des Verwaltungsgerichts zu dieser neuen Bestimmung sieht nun aber gänzlich anders aus. Eine junge Frau aus Sri Lanka wollte ihre Lehre abschliessen und bat um eine Verlängerung bis Juli 2022. Das Gericht ist nicht darauf eingegangen. Zuvor hatten jedoch schon die kantonale Migrationsbehörde und die Sicherheitsdirektion das Anliegen abgelehnt. Das Verwaltungsgericht folgte lediglich diesem Entscheid. Was veranlasste die bernischen Behörden, entgegen dem Beschluss des Grossen Rates zu entscheiden? Der Sicherheitsdirektor und Regierungsrat Philippe Müller verweist auf die eingeschränkten Möglichkeiten des Kantons. Er stützt sich dabei auf die Tatsache, dass Auslandrecht und Asylrecht in den wesentlichen Fragen auf Bundesebene geregelt werden. Der Kanton muss dieses respektieren. Eine Medienmitteilung lässt jedoch offen, ob ein entsprechendes Härtefallgesuch oder ein Antrag an den Bund überhaupt gestellt wurde. Es macht ein wenig den Anschein, als verstecke sich nun der Regierungsrat hinter dem Bundesrecht. Die junge Frau aus Sri Lanka hatte Pech, andere wiederum haben Glück. Die Frage sei gestattet, ob es sich der Kanton Bern hier nicht etwas zu einfach macht mit seinem Versteckspiel? Der Riggisberger Pfarrer Daniel Winkler setzt sich seit geraumer Zeit in der Region für solche Fälle ein und deckte unlängst einige Probleme in der «Rundschau» bei SRF auf. Bezogen auf diesen Fall meint er: «Eine der grössten menschlichen Ressourcen ist Bildung und Bildung ist gleichzeitig eine der nachhaltigsten Möglichkeiten, um Entwicklungshilfe zu leisten. Diese Erkenntnis ist nicht neu, aber es scheint, dass in vielen Amtsstuben bei Asylthemen nur noch kalter Legalismus herrscht.» Er hat die Betroffenen kennengelernt und bedauert: «Dass einem lernbereiten Menschen – ganz unabhängig von seiner Situation – den Abschluss eines Bildungswegs verunmöglicht wird, ist von aussen nicht nachvollziehbar. Es ist wertvoll, dass wir in einem gut funktionierenden Rechtsstaat leben. Wenn Gesetze aber mit dem Gebot der Menschlichkeit kollidieren, braucht es Anpassungen oder ein gutes Augenmass bei ihrer Anwendung.»
Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Der Wille war auf nationaler Ebene im Nationalrat vorhanden, der Ständerat kippte eine landesweite Entscheidung in diesem Punkt äusserst knapp. Der Kanton Bern kann sich darauf stützen. Einen faden Beigeschmack behält der Fall dennoch. Einer gut integrierten und arbeitsfreudigen Frau die einzige Perspektive zu nehmen, ist zumindest menschlich fragwürdig, wenngleich juristisch alles korrekt ablief. Auch der Grosse Rat dürfte sich inzwischen fragen, ob der Wille wirklich da war, seine Bestimmung umzusetzen.
Sacha Jacqueroud


