Etwas ganz Wichtiges zu Beginn: Ich hatte (wie immer im Leben) das Glück, in den 70ern für zwei Reiseveranstalter zu arbeiten, für «Tour Operator»s, und war deshalb regelmässig beruflich unterwegs. Da wir «Travel Agents» grossartige Ermässigungen auf den Ticketpreisen hatten, flogen wir meistens erste Klasse. Das war damals einfach so, mir geht es nicht darum, hier zu blöffen. Einfach zur Erklärung.
Mein Chef Fritz Baumgartner und ich an einem Samstagmorgen in März nach Mallorca, am Sonntagnachmittag retour. Nun müssen Sie Folgendes wissen: Wenn eine Flugkette ihren ersten Flug durchführt, dann fliegt sie mit Passagieren ans Ziel, aber leer retour, weil ja keine Ferienmacher zu holen sind. Um einen solchen «Empty leg» handelte es sich am Sonntag mit der DC-10 der Balair. Hiess: Baumgartner/Bornhauser als einzige Pax von 345 möglichen, zusammen mit einer 17-köpfigen Crew. Ich gebe mich interessiert, spaziere ins Cockpit. Dort frage ich den Captain, wie schnell das Flugi eigentlich sinken kann. «Moment schnell», kommt retour, anschliessend fragt er bei einer französischen Flugüberwachung um die Erlaubnis, 12’000 Fuss notfallmässig sinken zu dürfen. Bewilligung erteilt, die Nase senkt sich, es geht im Sturzflug abwärts. Wow! Sässe ich nicht angeschnallt, ich wäre vermutlich schwerelos. Das Gegenteil, als der Pilot die Maschine auffängt, die Gravitation drückt mich gewaltig in den Sitz. Ich bedanke mich, gehe retour in die Kabine, wo mein Chef kreidebleich im Sessel hockt – und mit ihm die meisten der Kabinen Crew. Ich gebe Entwarnung. Übrigens: Kloten wurde über den «Empty leg» nicht informiert. Bei der Ankunft stehen vier blaue Transferbusse bereit.
Für gerade mal 220 Franken können einige Kollegen und ich als Lückenbüsser am 31. August 1976 erste Klasse von Zürich aus nach Genf fliegen, um dort die Maschine zu wechseln, nach Casablanca, in eine Concorde der Air France, über dem Mittelmeer mit Mach 2,2 unterwegs. Am Bord wird unter anderem Beluga Kaviar und Champagner von Dom Pérignon serviert. Noblesse oblige. Von Marokko aus geht es nach einer Stunde mit dem Überschallflugzeug weiter nach Paris, ebenfalls als «Empty leg», da in Casablanca noch keine Passgiere mit an Bord zu nehmen sind (ebenfalls ein Erstflug). Ab Paris der Rückflug, wieder First Class nach Zürich. Ich fotografiere wie wild. Zum Schluss zeigt mein Föteler Aufnahme 36 an, 37, 38, 39, 40… Heisst: Es hat den 36er-Ilford-Film nicht eingezogen, auch eine Art «Empty leg». Vom Erlebnis gibt es deshalb bloss ein Zertifikat, kein Foto.
Cousin Urs und ich auf dem Flug von München nach Zürich. Wir sitzen im hinteren Drittel des Flugis. Plötzlich ein Riesengeschrei in der letzten Reihe. Zwei Herren prügeln sich. Und zwar zünftig. Urs und ich drehen uns interessiert um. Eine Hostess rennt an uns vorbei, «Lueget nid nume, chömmet mir cho hälfe!» tönt es Bärndütsch. Wir beide nach hinten. Es handelt sich um einen eher kleingewachsenen Zürcher Kantonspolizisten, der einen per Haftbefehl gesuchten Delinquenten nach Zürich überstellen soll. Überstellt hat es vor allem ihn. Ich stelle mit hinter den Gesuchten und nehme ihn in den Schwitzkasten. Zünftig. Als sich die Situation einigermassen beruhigt hat, will der Chilene auf die Toilette. «Ist er sauber?», frage ich den Polizisten. Scheint so. Bevor jemand den Fuss zwischen Türe und Rahmen stellen kann, ist der Mann drin, schliesst sich ein und beginnt sofort damit, das WC zu demolieren. E Riesekrach. Mit einem Vierkantschlüssel öffnet die Bernerin die Türe, mein Cousin und ich zerren den Wahnsinnigen heraus, werfen ihn zu Boden, eher besorgt von den übrigen Leuten beachtet. Nach drei Minuten sitzen ein völlig überforderter Polizist und sein Begleiter wieder auf ihren Sitzen, sogar in der dafür vorgesehenen Haltung. Plötzlich nimmt der Kriminelle einen Füllfederhalter (!) aus seinem Veston und beginnt, sich damit in die Nase zu stechen. Urs reisst ihm das Ding aus der Hand, der Füli geht kaputt. Blut hier, Tinte dort. Ich ziehe den Schwitzkasten enger, darf zur Landung sogar stehen. In Kloten kommen Polizisten an Bord, begleiten die beiden Typen hinaus, man notiert unsere Namen. Die Hostess meldet sich am nächsten Tag telefonisch bei mir, die Swissair nach vier Wochen mit einem Kugelschreiber als Dank, die Kantonspolizei überhaupt nicht.
Während eines Rückflugs aus New York wird es den elf Passagieren in der Ersten Klasse langweilig, zum Schluss sitzen wir im Kreis am Boden, wie Indianer im ersten Stock des Jumbo-Jets. Man trinkt auf Bruderschaft. Mit an Bord: Der CEO eines demnächst vollständig renovierten Luxushotels am Vierwaldstättersee. Erstaunt, dass wir uns drei Wochen später alle zusammen auf generöse Einladung bei der glamourösen Wiedereröffnung nochmals gesehen haben?
Thomas Bornhauser