Während man kaum hinterherkommt, alle erfolgreichen Schwinger in der Region Gan-
trisch aufzuzählen, sieht es bei den Schwingerinnen anders aus. Ein Blick in die Schlussranglisten der letzten Jahre zeigt: Angela Riesen ist eine Pionierin im Dreieck zwischen Thun, Freiburg und Bern.
Schwingen statt HipHop
Die damals 10-jährige Rüeggisbergerin kam durch einen Schnuppertag, organisiert durch die Schule, zum Schwingsport. «Man konnte zwischen HipHop, Ballet und Schwingen auswählen», erinnert sie sich an den ersten Tag im Sägemehl. «Ich kam nach Hause und sagte ‹Muetti, ich bin ab heute im Schwingklub›.» Mit einem Vater, der auch geschwungen hatte, und den Vorbildern Christian Stucki und Matthias Sempach war ein Bezug zum Sport schon gegeben. Über fünf Jahre trainierte sie mit den Schwarzenburger Buben, und wenn an einem Schwingfest ein gemeldeter Junge nicht antrat, schwang sie unter seinem Namen, denn unter ihrem eigenen Namen wäre es nicht möglich gewesen. Erst später nahm sie eine Kollegin an ein Frauen- und Mädchenschwingfest mit. «Ich durfte es gleich gewinnen», sagt Riesen mit einem Schmunzeln.
Vom besten Meitli zur Königin
Von da an tauchte sie in den Rang-
listen der Meitli immer in den oberen Plätzen auf. 2018 etwa dominierte sie nach Belieben, gewann bei den Meitli 1 jedes Frauen- und Meitlischwingfest – eines mit dem Rang 1b. Mit 16 holte sie bei den Aktiven ihren ersten Kranz und im selben Jahr, 2019, gewann sie das Eidgenössische und damit Kalb Vera. «Sie ist nun sechsjährig und trägt zum fünften Mal», so Riesen.
Die folgenden Saisons – 2020 und 2021 fanden keine Feste statt – zeigten eine breitere Spitze, zu erwähnen sind etwa die Berner Kolleginnen wie die Königin 2018+2022 Diana Fankhauser, die nun ebenfalls zurückgetreten ist, Jasmin Gäumann und Melissa Klossner oder Isabel Egli vom Schwingklub Steinhuserberg. Im 2023 änderte der Verband den Modus – nun bestimmte nicht mehr die Jahreswertung über die Königin, sondern der Sieg am Eidgenössischen. In Grächen VS setzte sich Angela Riesen am 2. September mit vier Siegen und zwei Gestellten an die Spitze und wurde mit nur 20 Jahren Schwingerkönigin. Zum Vergleich: Auf den Rängen 2a+b, 3, 4a+b waren allesamt Schwingerinnen, die 4 bis 20 Jahre älter waren. Der Medienrummel war, wohl auch aufgrund des geänderten Modus, gross, der Empfang in Rüeggisberg von allgemeiner Freude und Stolz geprägt.
Kaum mehr Freude verspürt
In der darauffolgenden Saison war die Titelverteidigerin stets in den vorderen Rängen dabei, in der Jahreswertung – die inzwischen bereits wieder die Königin bestimmte – schloss sie bei 56 Aktiven auf Rang 4 ab. Dies hatte sicher auch mit einer Rückenverletzung zu tun, die sich die 22-Jährige bei der Arbeit zugezogen hatte und wegen der sie länger nicht trainieren konnte. Doch auch sonst war die Freude am Schwingen nicht mehr so stark wie bisher. Und neben dem Schwingen, der Vollzeitstelle bei der Landi Rüeggisberg, dem Mitanpacken auf dem Hof des Onkels und dem Singen im Jodlerklub blieb kaum mehr Zeit übrig für Riesens grosse Leidenschaft, das Reiten. «Und ich möchte gern mehr Zeit mit meinem Freund verbringen», fügt sie an. Sie habe mit dem Königinnentitel ihr Ziel erreicht. So beschloss sie schon im vergangenen Frühling, zurückzutreten.
Ein Kranz zum Abschied
Dem Grossvater, der sie stets so stark unterstützt hatte, die Nachricht vom Rücktritt zu überbringen – «davor hatte ich am meisten Angst». Doch die ganze Familie reagierte mit grossem Verständnis. Riesen liess die ersten Kranzschwingfeste ausfallen, aber wollte nicht einfach still und heimlich abtreten – das sei einer Königin nicht würdig. So kam es am 28. Juni im bernischen Farnern zum offiziellen Abschied. «Bis der 1. Gang gemeistert war, spürte ich grosse Anspannung und Angst», erzählt Riesen. Die Begegnung, ausgerechnet gegen die amtierende Königin Isabel Egli, endete mit einem Gestellten. Danach war die Angst wie weggeblasen: «Ich merkte, ich kann’s noch.» Nach zwei Siegen, einem gestellten Gang, einem weiteren Sieg und einem Gestellten im
6. Gang holte sie sich mit 56.00 Punkten den letzten Kranz – ein würdiger Abschied. Ihre Berner Kolleginnen schenkten ihr einen Balken und eine Garderobe mit Schnitzereien, doch auch bei Schwingerinnen aus anderen Klubs flossen beim Abschied Tränen, bei der Mutter sowieso, und auch der Vater konnte seine Rührung nicht verstecken.
Hat die umtriebige Helgisriederin nun endlich mehr Zeit zur Verfügung? In ihren Sommerferien vertritt sie ihren Onkel auf dem Hof, gleichzeitig sollte sie für den Umzug zu Freund Sven ihre Sachen ausmisten und packen. «Und ich möchte mir mehr Zeit nehmen fürs Reiten.» Nach 21 Kränzen, zahlreichen Glocken und Zweigen und weiteren Preisen schaut Angela Riesen dankbar auf die zwölf Jahre als Schwingerin zurück. Und freut sich, sich für die nächsten Schritte etwas mehr Zeit nehmen zu können.