Eine saubere Sache?

Eine saubere Sache?

Seit der Trinkwasserinitiative und den sich häufenden Meldungen von überschreitenden Chlorothalonil-Werten sind die Menschen sensibilisiert, was die Qualität ihres Wassers betrifft. Die Behörden warnen vor einer Dramatisierung. Dennoch sehen ausgewiesene Experten Handlungsbedarf, insbesondere für die Zukunft.

«Unser Wasser durchfliesst halb Europa weiter und wird von Millionen von Menschen auch als Trinkwasser genutzt», erklärt Roland Spring. Er war als technischer Inspektor der Abteilung Trink- und Badewasser im Kantonalen Labor Bern tätig und damit quasi für die Konsumentinnen und Konsumenten unterwegs. Die Schweiz ist ein Wasserschloss für Europa, Gletscher und die Flüsse liefern das immer kostbarer werdende Gut weit über die Landesgrenzen hinaus. «Wenn zum Beispiel Deutschland Grundwasser aus dem Rhein bezieht, ist dieses Wasser schon mehrere Male durch Haushalte, Industrie und Landwirtschaft genutzt worden», verdeutlicht er. Deshalb hat die Schweiz eine immense Verantwortung, das Wasser sauber zu halten. Unsere Region hat einen bedeutenden Teil am Wasserschloss. Aus dem Gantrisch-Gebiet stammt sauberes Quellwasser. So liefern etwa Quellen bei Blattenheid im Stockental 2000 bis 20’000 Liter Wasser pro Minute. Sie liegen über 1300 Meter über Meer und sind vom Einfluss durch Industrie und Landwirtschaft verschont. «Das Gantrisch-Gebiet funktioniert wie ein riesiger Schwamm und kann immense Mengen an Wasser speichern», erklärt der Experte. Früher gehörten über 100 dieser Quellen der Stadt Bern. Heute sind viele in privatem Besitz oder in den Besitz einer Gemeinde, wie etwa Schwarzenburg, gewechselt.

Landwirtschaft
Im Rahmen der Trinkwasserinitia-
tive ist die Landwirtschaft in den Fokus gerückt. «Zu viel Gülle und Pflanzenschutzmittel belasten den Boden, der als Wasserfilter wirkt», erklärt Spring. Hauptlieferanten von Wasser sind Regen und Gletscher. Das kühle Nass versickert im Boden und speist das Grundwasser. Die Verunreinigungen nimmt das Wasser auf dem Weg durch den Boden quasi mit. So muss man die Landwirtschaft zwingend in die Verantwortung nehmen, auf der anderen Seite sagt Stefan Mürner, Fachsbereichsleiter beim Amt für Wasser und Abfall des Kantons Bern: «Es gilt zu beachten, dass für Fassungen nicht nur von der Landwirtschaft Probleme ausgehen. Im Einzugsgebiet können auch andere Risiken wie Altlasten, Verkehrswege, Siedlungen usw. vorhanden sein.» Neue Bauten können zudem Wasseradern unterbrechen, wie es etwa beim Lötschberg passiert ist. Die Landwirtschaft ist in der Verantwortung, aber eben nicht nur: Alle Sektoren, die das Grundwasser beeinflussen, haben die Pflicht, das Wasser möglichst rein zu halten.
Chlorothalonil
Es stellt sich demnach die Frage, wie es denn um die Qualität unseres Wassers wirklich steht? «Grundsätzlich wird das Trinkwasser durch den Kanton schon seit Jahrzehnten rigoros überwacht. Die Resultate werden kommuniziert und nötige Massnahmen angeordnet», beruhigt Spring. Ganz ähnlich klingt es bei Mürner: «Die Ansprüche an das Schweizer Trinkwasser sind sehr hoch.» Er führt noch einen weiteren Aspekt mit ein: «Bei den uns vorliegenden Messwerten handelt es sich zum Teil um solche direkt ab Netz oder bei einer Fassung, bei der direkt das Grund- und Quellwasser beprobt wird. Eine Überschreitung bei der Fassung bedeutet nicht zwingend, dass im Netz eine Überschreitung vorliegt. Je nachdem, ob sie mit anderen gemischt wird oder überhaupt zugeschaltet ist.» Im Zusammenhang mit der Qualität sind in jüngster Zeit vor allen Dingen Überschreitungen bei der Substanz «Chlorothalonil» aufgetaucht. Es handelt sich dabei um einen Metaboliten (Zwischenprodukt in einem meist biochemischen Stoffwechselvorgang) eines Fungizids, das in der Landwirtschaft eingesetzt wird. Die EU hat aufgrund von neuen toxikologischen Erkenntnissen den Metaboliten als relevant taxiert. «Studien haben gezeigt, dass dies der Fall sein könnte, es ist also nicht bewiesen, aber es besteht die starke Vermutung», erklärt Spring. Seit den 70er-Jahren werden Pflanzenschutzmittel in der Landwirtschaft eingesetzt. Die Schweiz hat auf den Entscheid der EU reagiert und den Grenzwert von 0,1 Mikrogramm pro Liter Wasser übernommen. Entsprechend sind Befunde, die den Wert überschreiten, nicht überraschend. Im Kanton Bern überschreiten aktuell 5 Gemeinden und im Kanton Freiburg 7 aus unserem Verteilgebiet den Grenzwert. «Bei einer Überschreitung besteht keine unmittelbare Gefahr für die Bevölkerung», gibt Mürner Entwarnung. Das entspricht auch der Auffassung von Roland Spring. Dennoch müssen die Betroffenen Wasserversorgungen reagieren. «Die Belastung von Chlorothalonil-Metaboliten ist grossflächig. In aller Regel führen kostspielige Einzellösungen nicht zum Ziel. Deshalb arbeiten das Kantonale Labor und das Amt für Wasser und Abfall eng zusammen und erarbeiten mit den Gemeinden Lösungen.» Der Kanton Freiburg stuft die Resultate der Untersuchungen von diesem Sommer als «beunruhigend» ein und hat ebenfalls beschlossen, Schutzmassnahmen zu ergreifen. Auch nachhaltige. So lässt die Direktion der Institutionen und der Land- und Forstwirtschaft verlauten, dass man die Beobachtung und den Schutz der unterirdischen Gewässer verstärken will. Dazu gehören Verbote von Pestiziden und der besondere Schutz von noch nicht betroffenen Quellen.

Volle Filter
«Chemische Pflanzenschutzmittel hat man über Jahrzehnte eingesetzt. Der Bodenfilter ist gesättigt und und wird vom Regen ausgewaschen. Deshalb muss die Landwirtschaft die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln überdenken», warnt Roland Spring für die nahe Zukunft. Die Schweizer Landwirtschaft erzielt sehr grosse Erträge pro Hektare und diese Monokulturen auf engem Raum benötigen Pflanzenschutzmittel. Auch bei der Tierhaltung fallen grosse Mengen an Gülle an und belasten Böden und Grundwasser stark. Nicht nur der Boden kann Schadstoffe filtern, sondern auch die Seen. Sie haben ein grosses Verdünnungspotential und können mikrobiologische Verunreinigungen abbauen. Werden Seen aber mit Gülle überlastet, wird dem Wasser Sauerstoff entzogen, so dass Fische und Kleinlebewesen sterben. «Es muss ein Umdenken stattfinden. Das kann aber nur gelingen, wenn Bauern mehr Geld für ihre Produkte erhalten», erklärt er nicht anklagend, sondern auffordernd. Statt die Landwirte zu Sündenböcken zu machen, sollte die Gesellschaft als Ganzes diese Verantwortung auf sich nehmen. Produzent und Konsument müssen bereit sein, zusammen das nötige zu unternehmen, hin zu einer nachhaltigen Landwirtschaft.

Das Problem in der Zukunft
Aber selbst wenn ein Umdenken stattfindet, selbst wenn der Bodenfilter in Zukunft Entlastung erhält, sind die Trinkwasserprobleme noch nicht beseitigt. Die Gletscher schmelzen als Folge der Klimaerwärmung. «Zum einen schwinden unsere Wasservorräte, zum anderen setzt der schwindende Permafrost Bakterien frei, wie wir zu einem grossen Teil noch nicht kennen», erklärt Roland Spring. Selbst das Wasserschloss Europas steuert auf eine Knappheit der Ressource zu, beschleunigt durch den Klimawandel und den Gletscherschwund. Umso wichtiger wird die Wiederverwertung des zukünftig kostbaren Guts. Dabei spielen Kläranlagen eine wichtige Rolle. «Eigentlich verrichten wir unser Geschäft ins Trinkwasser, das anschliessend minutiös gereinigt werden muss», meint Spring. Heute ist dieser Prozess eine komplexe Angelegenheit und die Verunreinigungen werden in mehreren Stufen aus dem Abwasser entfernt. Das Prinzip der Kläranlage im Sinne einer Wasseraufbereitung ist eines, dass zukünftig im Kleinen ebenfalls zum Tragen kommen sollte: Wasser mehrmals nutzen zu können und vor allen Dingen sauber zu halten.

«Chlorothalonil» hin oder her. Noch ist unser Trinkwasser sauber. Noch thront das Wasserschloss stolz und hoch über Europa. Die Frage bezüglich der vollen Filter und schwindenden Wasservorräte muss aber lauten: Wie lange noch?

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