Eine Villa, ein Treff, viele Nationen

Eine Villa, ein Treff, viele Nationen

Inmitten des Graberareals im Liebefeld, das bis 2019 im Besitz von PharmaSuisse war, steht eine stolze, mit grosszügigem Umschwung ausgestattete Villa aus dem Jahr 1900. Bis vor drei Jahren wohnte hier Marianne Aeberhard mit ihrer Familie. Heute befindet sich darin der Verein Familientreff Liebefeld und versucht, sein finanzielles Überleben zu sichern.

Das ganze Fabrikareal, 2019 durch die Gemeinde gekauft, ist nun in einer Zwischennutzung für Kunst- und Kulturschaffende. Dass die Villa heute noch steht, ist nicht selbstverständlich. «Das ganze Graberareal sollte abgerissen werden», schaut Aeberhard, Mitglied der Geschäftsleitung, zurück. 

Unterschiedliche Nationen vereint

Neben Aeberhard sind auch Leo Grunder und Elena Boos Navarrete in der Leitung des Treffs. Aeberhard übernimmt Arbeiten im Backoffice, Grunder kümmert sich um die Vernetzung des Vorstands und hilft als Hauswart, während Boos die Spielgruppe «Stärnli» und das Elternkaffee leitet und für die Koordination der Aktivitäten und Vermietungen der Räumlichkeiten zuständig ist. Ausserdem helfen in der Spielgruppe mehrere Frauen mit, darunter drei Praktikantinnen. Alles begann, als Boos im Jahr 2020 zusammen mit ihrer Freundin Ana Riesen die Idee hatte, verschiedene Kulturen, Kinder und Familien an einem Ort zusammenzubringen. So gründeten sie den Verein; ein Jahr später war der Familientreff eröffnet. «Ich bin selbst Mexikanerin und lebe seit 18 Jahren in der Schweiz. Deshalb war es mir ein Anliegen, ein kulturelles Projekt zu entwickeln und Schweizerinnen mit Migrantinnen zusammenzubringen», erzählt die Erziehungswissenschaftlerin. Denn sie wisse, wie es ist, in der Schweiz keine Familie zu haben und wie wichtig es daher sei, sich vernetzen zu können. Genau das, was der Familientreff bieten will. Neben der interkulturellen Spielgruppe bietet der Verein zweimal im Monat einen Treff für Eltern und Kinder an. Während anfangs mehr Migranten ihre Kinder in die Spielgruppe schickten und am Treff teilnahmen, seien mittlerweile auch viele Schweizer Familien dabei. «Die Spielgruppe besuchen Kinder aus verschiedensten Nationen. Von Griechenland, Indien, Mazedonien, Österreich, Deutschland, Kolumbien bis Peru und Kosovo ist alles dabei», zählt Boos auf.

Wichtige Dauervermietungen

Welche weiteren Angebote es im Treff gebe, sei immer abhängig davon, wer die Räumlichkeiten der Villa miete. Oft seien es einmalige Anlässe wie Kindergeburtstage, Lesungen, Public Viewings, Güetzibacken, Kinderkleiderbörsen oder Malkurse. Auch kolumbianische, griechische, brasilianische, mexikanische Feste oder Kunstausstellungen habe es schon gegeben. «Einmal war hier der ganze Garten voller Bilder», lacht Aeberhard. Seltener gebe es auch dauerhafte Vermietungen wie etwa für tamilische oder mexikanische Kindertanzkurse, Beratungen oder Krabbelgruppen. Momentan gebe es jeden Donnerstag ein Nähatelier, sagt Boos. Und Aeberhard fügt mit etwas Stolz an: «Gerade ist die Mütter- und Väterberatung eingezogen.» Ein grosser Moment, dass eine so etablierte Organisation bei ihnen einquartiert sei. Und auch eine finanzielle Absicherung. Denn der private Verein ist auf solche Dauervermietungen angewiesen. Die Spielgruppe wird zwar, wie alle Spielgruppen, durch die Gemeinde unterstützt und durch das alte, sanierungsbedürftige Gebäude sind die Kosten tief. «Doch die einzige bezahlte Teilzeitstelle von Elena Boos als Spielgruppenleiterin und Koordinatorin des Familientreffs müsse auch finanziert werden, sagt Aeberhard. Bisher sei das Projekt eine rein private Initiative ohne Subventionen der öffentlichen Hand. «Wir hoffen ausserdem darauf, die Räumlichkeiten zukünftig direkt bei der Gemeinde mieten zu können. Und nicht mehr nur als Untermieter.»

 Ein selbstverdienter Zustupf

Letztes Jahr hatte der Verein etwas Glück und vor allem Erfolg. Im April wurde er durch ein Förderprogramm von «Migros Engagement» ausgezeichnet. Ein verdienter Preis, der ihr Jahr finanziell absicherte. «Wir sind stolz», sind sich die beiden Frauen einig. «Die 10’000 Franken, die wir erhalten haben, retteten uns fürs Jahr 2022», blickt Aeberhard zurück. Die Mitglieder des Familientreffs sind froh um jeden finanziellen Zustupf. Die Kosten ihres Angebots können sie nur mit Mühe decken. Die meisten arbeiten freiwillig. «Wir versuchen, kostendeckend zu arbeiten. Damit wir das schaffen, sind wir auf Einkünfte durch die Spielgruppe und vor allem auf Dauervermietungen angewiesen. Weiter planen wir auch ein Crowd-Funding», sagt Aeberhard.

Andere Kulturen und Meinungen

Nun ist ein Ort, an dem sich verschiedenste Kulturen treffen, ein Ort der Begegnung und ein Ort, an dem verschiedene Erwartungen, Einstellungen und Meinungen aufeinandertreffen. Das  sei manchmal eine Herausforderung, meint Boos. «Je nachdem herrschen andere Vorstellungen bezüglich Zeit und Ordnung oder Lärm. Auch das Konzept der Freiwilligenarbeit kenne man sonst wenig. «In der Schweiz sind wir privilegiert und können solche Arbeit tätigen, in anderen Ländern existieren solche Angebote kaum. Oft wird dann, wenn man sich engagiert, eine Gegenleistung erwartet», schildert Boos. Deshalb sei es schwierig, neue Leute zu finden, die freiwillig etwas zum Familientreff beitragen wollen. Eine weitere Herausforderung stelle die Kollekte dar; dieses Konzept kenne man in vielen Kulturen nicht. «Manchmal ist es schwer, ein Verständnis dafür zu schaffen, etwa beim Café, das aus Kollekten finanziert wird», meint Aeberhard. «Einige haben das Gefühl, dass wir in der reichen Schweiz alles gratis geben können, das ist leider ein Missverständnis.» Doch viel mehr als auf kulturelle Verständnisse, komme es auf die jeweilige Persönlichkeit und Lebenslage an. «Wenn wir Probleme haben, dann oft mit den Schweizerinnen und Schweizern», schauen sich beide Frauen kurz an und lachen.

INFO: www.familientreff-liebefeld.ch

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