Jaël ist in der dritten Oberstufe. Je mehr Berufe sie anschaut und je mehr Schnuppertage sie absolviert, desto unsicherer wird sie, was sie eigentlich will. In der Schule heisst es, sie müsse sich beeilen, also Bewerbungen schreiben. Zuhause herrscht der elterliche Wunsch, noch mehr Schule zu machen, um eine akademische Laufbahn zu starten. Längst umschifft Jaël das Thema gekonnt. Vergebens. Es ist dem ganzen Umfeld viel zu wichtig. Am Esstisch kommt es schliesslich zum grossen Knall. Wortfetzen fliegen, wenig später knallt ihre Zimmertür zu. Zurück bleibt eine junge Frau, die weinend auf dem Bett kauert und kaum noch weiss, was sie selbst eigentlich will.
Loslassen
«Schön wäre, wenn Eltern ihren Kindern vertrauen und sie auf dem Weg zu ihrer Ausbildung unterstützen, ganz gleich, ob es nun ihren eigenen Wünschen entspricht oder nicht. Es geht ums Loslassen», sagt Istvan Jakab. Er weiss, wovon er spricht, und fügt an: «Meine Tochter macht auch nicht das, was ich favorisiert hätte und das ist gut so.» Für junge Menschen beginnt gegen Ende der regulären Schulzeit die Suche nach einer Berufung. Also, nach Interessen, Freude und Motivation. Junge Menschen sollten sich entfalten können. «Und ja, vielleicht weiss man seine Bestimmung noch nicht in dem Alter. Das grosse Glück der Schweiz ist aber unser offenes Bildungssystem. Kein Abschluss ohne Anschluss», fasst der Ausbildner zusammen.
Lebensschule
Dieser Umstand nimmt Druck weg. Es entsteht Platz für die Wünsche der Jugendlichen. Die Tendenz in der Gesellschaft geht immer mehr in Richtung Studium und höhere Fachausbildungen. So als wäre die Lehre weniger wert. Jakab bricht dabei gerne eine Lanze für die Lehrberufe als Startmöglichkeit und erklärt weshalb: «In der Berufsbildung hat man neben der Theorie die Praxis und damit eine regelrechte Lebensschule. Es ist ein langsames Auflösen einer inneren Haltung, dass einem immer alles vorgekaut wird. Es beginnt eine Vorbereitung für Aufgaben, die der junge Mensch selbst erbringen muss.» Der Weg hin zu Selbstständigkeit, Verantwortungsbewusstsein und Leistungsbereitschaft. Die Schule gibt Lernziele und die Schritte dazu vor. Eine Lehre kennt Lernziele für Schule und Praxis, mit direktem Bezug zum Berufsleben. Wie er schon sagte: eine Lebensschule.
Training
Der Präsident der Sportbörse in Niederwangen hat unzählige Jugendliche auf diesem Weg begleitet. In seinem Betrieb hat es immer auch für «Nonkonformisten» Platz. Was er damit meint, sind Jugendliche, die auf den vorgegebenen Pfaden unseres Systems nicht zurechtkommen und deswegen nicht gleich vergessen und liegengelassen werden dürfen. Viele davon starten in der Sportbörse ihre Lebensschule als hätten sie ein «RedBull» getrunken – mit Flügeln. Das gelingt dem Lehrmeister dank einer klaren Haltung: «In einem Eintrittsgespräch sage ich Eltern und Jugendlichen immer, dass ich der Coach und Konditionstrainer bin, damit sie ihre Ziele erreichen. Das heisst, ich fordere viel, aber es kommt von Herzen.»
Verantwortung übernehmen
Wenn man diese Lebensschule noch ein wenig konkreter beschreiben möchte, dann ist es der Weg zu einem selbstbestimmen Leben der Jugendlichen, der aber Halt macht vor Stationen mit wichtigen Erkenntnissen. Etwa, dass man für sein Handeln stets selber verantwortlich ist. «Mich motiviert, dass ich die jungen Menschen ein Stück lang begleiten darf. Wobei das Wort begleiten zu betonen ist, denn ich kann den Raum zur Verfügung stellen. Was die Jugendlichen daraus machen ist ihre Verantwortung», sagt er abschliessend.
Was wäre, wenn Istvan Jakab die weinende Jaël angetroffen hätte? Vielleicht hätte sie nicht weinen müssen. Es muss nicht immer die Uni sein.