Haustiere boomen in der Schweiz. Glaubt man der Statistik des Verbands für Heimtiernahrung, so leben in fast jedem zweiten Schweizer Haushalt Heimtiere, wobei Katzen am besten vertreten sind, dicht gefolgt von Hunden. Tendenz steigend. In hiesigen Gefilden sind die Vierbeiner Teil der Familie, haben ein meist gut genährtes und zufriedenes Dasein. Eine Herzensangelegenheit, aber nicht lebensnotwendig. Andernorts ist die Situation komplexer, wenn es um Haustiere geht. In Ost- und Westafrika etwa hat das Tier als Familienmitglied einen mindestens so grossen Stellenwert wie hier, allerdings nicht aus Liebhaberei, sondern als Lebensgrundlage. Haustiere sind Nutztiere, also nicht Katzen, Wellensittiche oder Meerschweinchen, sondern Kamele, Rinder, Ziegen, Schafe und Hühner. Für das Überleben sind sie elementar, schliesslich liefern sie Milch, Wolle, Fleisch und sind Statussymbol. «Wenn die Tiere gesund sind, sind auch die Menschen gesund», weiss Nicole Litschgi von der Organisation «Vétérinaires Sans Frontières Suisse», kurz VSF.
Lokal organisiert
Als Geschäftsleiterin von VSF-Suisse setzt sie sich zusammen mit ihrem Team seit Jahren für langfristige und nachhaltige Entwicklungshilfe ein. Hauptziel ist nichts Geringeres als die Stärkung der Ernährungssicherheit und der Lebensgrundlagen von verletzlichen Bevölkerungsgruppen in Afrika. In acht verschiedenen Ländern führt VSF-Suisse Länderbüros in der Umsetzung von Projekten, geleitet stets von lokalen Mitarbeitenden. «Wir setzen auf die Leute, die vor Ort sind», bekräftigt Litschgi und betont: «Wir finden immer kompetente und motivierte Menschen, auch für Führungsposten.» Sie selbst reist zwei bis dreimal im Jahr von Wabern, wo sie zuhause ist, in die verschiedenen Einsatzländer. Ihre Verbundenheit zum Kontinent sei sehr stark, in Tschad hat sie sogar schon zwei Jahre lang gelebt. Ihre dort gemachten Erfahrungen haben ihr gezeigt, dass Tiere und deren Gesundheit ein Schlüsselthema zum Erreichen von mehr Ernährungssicherheit sind. Wenn in der Entwicklungs- und Nothilfe nur an die Menschen gedacht werde, greife das zu kurz, so Litschgi – für Menschen rationiertes Wasser oder Lebensmittel werde oft auch mit den eigenen Nutztieren geteilt. Und wenn schon in Humanmedizin investiert werde, könne man Strukturen, Transportwege für Medikamente oder Ausrüstungen auch gleich für die Veterinärmedizin nutzen. «One Health» nennt sich diese kombinierte Ausrichtung. Mensch und Tier gehören zusammen, gesunde Tiere ernähren und stabilisieren Familie und Gesellschaft. Sie über die gleichen Kanäle zu unterstützen und begleiten macht entsprechend Sinn.
Vergessene Dürre
«One Health», die Optimierung der Strukturen, enge Zusammenarbeit – es ist Nicole Litschgi anzumerken, wie sehr sie diese Themen umtreiben und beflügeln. Zum Glück, denn in der Entwicklungshilfe braucht es einen langen Atem. Impfkampagnen durchführen, Tiergesundheitshelfende vor Ort ausbilden, Wertschöpfungsketten stärken und vor allem Katastrophenvorsorge. «Wir kümmern uns um sogenannte «slow onset disaster», Krisen, die sich langsam aufbauen und von denen man weiss, dass sie kommen», erklärt die junge Geschäftsleiterin. Aktuelles Beispiel: die anhaltende Dürre in Kenia, Äthiopien und Somalia. Soeben war Regenzeit, doch es fiel sehr wenig Regen. Die prekäre Ernährungssituation zeichnet sich bereits seit Längerem ab, Dürreperioden sind häufiger und stärker. Ursache dafür ist der Klimawandel. Dazu kamen Heuschreckenplagen, der eingeschränkte Marktzugang aufgrund von Covid-Lockdowns und durch die ausfallenden Weizenlieferungen aus der Ukraine spitzt sich die Situation noch mehr zu. «Es sterben massenhaft Tiere», erklärt Litschgi eindringlich, «ohne Gelder können wir nichts tun, das macht ohnmächtig.»
Langfristige Lösungen
Denn an Lösungsansätzen mangelt es nicht. Kurzfristig können die Reduktion der Herdengrösse oder Lebensmittelverteilungen helfen. Längerfristig unterstützt VSF-Suisse zum Beispiel Viehzüchter in ihrer Neuausrichtung zur Kamelhaltung. Das Kamel ist ein wahrer Jackpot, wenn die Hitze drückt und Wasser knapp ist. Es kommt bis 14 Tage ohne Wasseraufnahme aus und liefert trotzdem die notwendige Milch für die Kleinkinder der Nomadenfamilien. Kamele verursachen zudem weniger Bodenerosion als Rinder, fressen Blätter von Akazienbäumen und Sträuchern und sind daher nicht von Weideflächen abhängig. Weitere Lösungsansätze sind Tests von neuen, dürreresistenten Futterpflanzen, die weniger Wasser brauchen und sich gut lagern lassen. Oder auch die Einführung einer Smartphone-App für die Überwachung und Meldung von Tierkrankheiten in schwer zugänglichen Gebieten. Seit zehn Jahren setzt sich Nicole Litschgi mit VSF-Suisse für Tiere und Menschen ein, seit drei Jahren in enger Partnerschaft mit fünf weiteren Schweizer NGOs, endlich auch mit einer Programm-Finanzierung durchs DEZA. Das gibt Hoffnung und Mut, dranzubleiben.
INFO:
www.vsf-suisse.org