«Ich bin selber noch ein wenig vorsichtig mit dem Begriff Bestatterin, denn noch ist es nicht so weit, dass ich schon all zu viele Erfahrungen hätte sammeln können», wendet die Frau aus Sangernboden gleich zu Beginn ein. Daniela und Jürg Zbinden von Zbinden Bestattungsdienst GmbH betrachten es aber ein wenig von einer anderen Seite: «Wir haben schnell gespürt, dass sie die Fähigkeit hat, sich in Menschen und ihre Situationen hineinzuversetzen und hinhören kann», sagen Zbindens gemeinsam.
Neue Wege gehen
«Ich denke schon, das ich die Fähigkeiten dazu habe, aber noch fehlen mir die Erfahrungen», ergänzt sie. Ein einschneidendes Ereignis in ihrem nächsten Umfeld hat viel von ihr abverlangt. Deshalb musste sie ihren Wunsch eine Zeit lang nach hinten stellen. Dass Bestatterin überhaupt einmal ein Wunsch werden könnte, war hingegen kein Kindheitstraum, sondern eher eine Charaktereigenschaft der Lehrerin geschuldet: «Wenn ich eine gewisse Zeit über immer dasselbe mache, dann überkommt mich ein innerer Drang neben Bewährtem auch den einen oder anderen neuen Wege auszuprobieren», sagt sie. So kam es, dass Sie die Zeitung durchblätterte und das Inserat mit dem Stellenbeschrieb der Bestatterin vorfand. Ihre Neugier war geweckt.
Aus zwei mach eins
Das Bewährte sind bei ihr die Kinder und die Schule. Ein Weg, der sich für Rüegsegger angebahnt hatte. Als Tochter einer Bauernfamilie, die auch eine Schule für die Gegend betrieb, wuchs sie nah bei ihrer Mutter und im Schulzimmer auf. «Ich habe das Lehrer sein quasi mit der Muttermilch mitbekommen», schmunzelt sie und verweist auf ihren Werdegang zwischen einem Lebensabschnitt in Frankreich, dem Leben auf der Alp, in der Landwirtschaft und im Schulzimmer. Der neue Weg ist jener am anderen Ende der Lebenslinie: dort wo es heisst Abschied nehmen. «Ein Tätigkeitsfeld, das extrem breit ist und viele Fertigkeiten fordert», fasst sie zusammen. Eigentlich wie Schule geben auch. Die Parallelen zwischen dem Vorbereiten von Kindern fürs Leben und demjenigen des Vorbereitens der Angehörigen für das Gehenlassen sind auf den zweiten Blick frappant. Es geht beiderorts um das begleiten von Menschen in einem wichigen Moment ihres Lebens.
Hinhören können
So hat ihre Neugier ihr zwar einen neuen Weg eröffnet, gleichzeitg aber auf die Stärken hingewiesen, die sie längst besitzt. Jene Eigenschaft, die das Begleiten in zentralen Momenten erfordert. Es ist jenes Wort, welches Jürg und Daniela Zbinden schon verwendet haben: Hinhören. «Das bedeutet sich in den Hintergrund stellen zu können. Nicht den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen, sondern den bestmöglichen für die Betroffenen. In dem Moment sind die Angehörigen die wichtigsten», beschreibt Rüegsegger dieses Wort. Bei den Kindern ist das gar nicht so viel anders. «Jedes als Individuum wahrnehmen, seine Wesen erkennen und verstehen können und das bei seinem Bildungsweg zu berücksichtigen», fasst sie zusammen. Letztendlich begleitet man als Lehrperson auch die Angehörigen. Die Eltern sind Teil des Ganzen und es gilt mit dem Kind und ihnen gemeinsam, einen Weg einzuschlagen.
Herz schafft Vertrauen
Begleiten und Hinhören bieten wir alle im Alltag oft nahezu unüberlegt an. «Wie geht es dir», fragen wir ohne eigentlich wissen zu wollen, wie es um das Gegenüber steht. Entsprechend erschrocken ist man, wenn die Anwort nicht der Floskel «gut und dir?» wiederspricht. Dieses Begleiten und Hinhören als Lehrperson und Bestatterin ist eines, dass eine tiefe Bereitschaft voraussetzt, das wirklich zu wollen. Es geht um Authentizität oder anders gesagt: Hinhören mit Herz. «Das spürt das Gegenüber und das schafft letztendlich Vertrauen», bringt es Jürg Zbinden auf den Punkt. Man versteht das Ehepaar Zbinden, weshalb sie Sabine Rüegsegger bereits heute als Bestatterin sehen. Die Hingabe mit der sie begleitet und hinhört lässt keinen Zweifel daran, dass sie dies aus tiefstem Herzen tut.
«Eigentlich bin ich ein ungeduldiger Mensch», überrascht sie und reisst einem fasst ein wenig aus der Ruhe. Wie passt das? Die Antwort ist nicht minder überraschend: «Ich sehe das nicht unbedingt als Schwäche. Es ist mehr so zu verstehen, dass ich etwas möglichst gut und richtig tun will.» So ist diese Ungeduld nicht zeitlich zu verstehen, sondern nach Innen gerichtet. Eine Frau, die nicht nur offen für neue Wege ist sondern diese auch zu Ende gehen will. Jemand, der sich reinkniet. Eine «Begleiterin» mit vollem Einsatz und in jedem Moment in der Lage, mit dem Herz hinzuhören. Das ist Sabine Rüegsegger, Lehrerin und Bestatterin.
Sacha Jacqueroud