Drehen wir das Rad der Zeit um wenige Wochen zurück, nämlich genau auf den Donnerstag,
5. März. Ich bin einige Tage in Vercorin, eingangs Val d’Anniviers, wo ich meine Krimis schreibe. Die Meteo hat schlechtes Wetter angesagt: Regen, Schnee ab 2000 Meter. Vercorin liegt deutlich darunter, auf 1350 Meter. Ich bin noch immer Frühaufsteher. Sie wissen ja: Der frühe Vogel fängt den Wurm (aber die 2. Maus den Käse…). Wie auch immer: Um 6 Uhr sehe ich, wie es zu schneien beginnt – und dieser Schneefall wird, so merke ich später, 16 Stunden nonstop anhalten. Ein Winterwunderland, das nicht alle erfreut, vor allem die Automobilisten nicht, aber von ihnen wird hier nicht die Schreibe sein, sondern von einem Fussgänger.
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Es ist einer dieser sehr selten gewordenen Tage, an denen das Anziehen der Moonboots gerechtfertigt ist. Während des Tages wird Schreiben zur Nebensache, ich laufe stundenlang in der Gegend herum, geniesse es, im knöcheltiefen Schnee auf den Strassen herumzustapfen. Die Gemeindearbeiter sind mit ihren Schneepflügen nicht zu beneiden, ihre Büetz kommt einer Sisyphusarbeit gleich. Wie auch immer: Gegen 17 Uhr gehe ich zum Apéro in die Brentaz, eine Beiz im Dorfzentrum. Dort trifft man immer öppe Einheimische, Vercorinards, mit denen sich zu diskutieren lohnt. An diesem Tag an einem Stehtisch anwesend: Paul, wohl knapp ü70, Jean-François, Chef der hiesigen Skischule, und ein mir unbekannter, jüngerer Dritter. Es geht beim heutigen Schneefall um den angeblichen Klimawandel, der, wenn überhaupt, laut Einschätzung der 3 Herren, erst in 50 Jahren einsetzen wird. Stimmt: Die Walliser sind in erster Linie Walliser. In 2. und 3. Linie auch. Für sie gelten andere Gesetzmässigkeiten als anderswo. So sind im Dorf und im ganzen Skigebiet nirgends Infoplakate zu den Verhaltensregeln in Sachen Corona zu sehen, geschweige denn Desinfektionsspender. Und begrüsst wird man nach wie vor mit Bisou rechts, Bisou links, Bisou rechts. Et alors?
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Dummerweise (…) äussere ich mich lobend über Greta Thunberg. Nein, nicht dass ich den Hype um ihre Person gut finde, wohl aber die Tatsache, dass sie – stellvertretend für die junge Generation – uns Alten auf den Füssen rumsteht. Denn, seien wir ehrlich: Meine Generation ist doch heute jene, gegen die wir 1968 auf den Strassen demonstrierten. Wir 70-Jährigen stehen nicht für Erneuerung, für Aufbruch, wir sind Bewahrer. Item, Paul dreht ob meinen Aussagen schier durch («Elle est une honte pour l’humanité!!», sie sei eine Schande für die Menschheit), erst recht, als ich mich verabschiede und ihn frage, ob ich ihm eine Autogrammkarte von Greta besorgen soll. Mein nächstes Ziel: Das Restaurant Bergère, wo wiederum andere Copains anzutreffen sind. Weil dieser Tage alkoholfrei unterwegs, bestelle ich ein weiteres Cola zero und will eine SMS schreiben. Nur: Mein Handy ist verschwunden. Weg. Panik. Ich muss es in der Brentaz vergessen oder aber unterwegs verloren haben. Ich bezahle tout de suite meine Brause bei Muriel und gehe zurück zu Jean-François & Co., den inzwischen gefallenen Schnee auf der Suche nach dem kleinen Schwarzen mit den Moonboots zur Seite schiebend. Ohne Erfolg.
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«Ich vermisse mein Handy, habe ich es hier liegen lassen?» Céline, die Barfrau, verneint. «Vielleicht hat es Greta», spottet Paul. Haha, wie lustig, très amusant. Also ist es mir unterwegs zur Bergère aus der Tasche gefallen. E schöne Seich. «Was hast Du für eine Nummer?», will Jean-François wissen. Ich nenne ihm die Zahlenkombination, er ruft mich an, besser gesagt, mein Nokia. «Es läutet», sagt er. So weit, so unguet – aber wo? Ich trete hinaus auf den Dorfplatz: Schnee, Schnee, Schnee, nichts zu hören. Nach einigen Augenblicken gesellt sich Jean-François zu mir. «On a répondu», schmunzelt er, jemand hat abgenommen. Hä? Wer denn?
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«Dort oben», er zeigt in Richtung der Bergère: «Sandra, die Tochter von Gilles hat es.» Gilles selber ist einer der Gemeindearbeiter, Schnee schaufelnd. Ich bedanke mich bei Jean-François. 30 Sekunden später stehe ich bei Gilles, der mich an seine Tochter verweist, die im gleichen Haus wie er wohnt, gegenüber der Beiz. Und tatsächlich: Sandra streckt mir mit einem Lachen im Gesicht mein Handy entgegen, «Ich habe plötzlich ‹Highway to hell› von ‹AC/DC› unter dem Schnee gehört. Du hast Glück, Sekunden später ist die grosse Schneeschnutzi vorbeigefahren.» Sandra will umsverworgen keinen Finderlohn, das sei doch selbstverständlich. Ah ja, ist es das? Zurück in der Brentaz spendiere ich den 3 Herren eine Runde, selber bleibe ich bei Coke zero. Und am nächsten Tag lege ich Sandra mit einer Dankeskarte eine Schachtel Kirschstängeli vor die Haustüre, da volljährig. Das ist doch selbstverständlich.