Der erste Film von Philipp Bürge war quasi ein Zufallsprodukt und begann mit einer Spielerei. Wer kennt das nicht, wenn man bei der Digitalkamera zwischen zwei Bildern hin- und herzappt, scheint das den Objekten Leben einzuhauchen. «In den Ferien auf Korsika hatte ich eine neue Kamera dabei. Wir haben dann aus Spass und Neugier eine Pose eingenommen und diese dann minimal verändert. Das war faszinierend, eine Bildfolge mit nur wenigen Fotos erzählt schnell eine ganze Geschichte», sagt Bürge. Zurück zu Hause begann er mittels Malerabdeckband Bilder auf den Boden seines Ateliers zu kleben. «Es war anfangs nur ein Spass, aber dann merkte ich, dass es cool wird. Ich habe es mit Musik unterlegt und so entstand ‹Neulich im Atelier›», erklärt der 44-Jährige. Der Film ist ein sogenannter «Stop-Motion»-Animationsfilm, das ist eine Filmtechnik, bei der eine Illusion von Bewegung erzeugt wird, indem einzelne Bilder von unbewegten Motiven aufgenommen und anschließend aneinandergereiht werden. Sein erstes Werk wurde gleich in das Programm von drei Filmfestivals aufgenommen. Anlässlich seines Debütfilms gründete Philipp Bürge 2009 das Berner Animationslabel «Küchentisch Films». Anfänglich führte er es noch als «augenzwickerndes Label» im Vorspann von «Neulich im Atelier», heute übernimmt das Label die Produktion eigener Filmprojekte, den Vertrieb eigener Filme sowie die Regie und Umsetzung von Auftragsfilmen. Bürges Haupttätigkeit ist aber weiterhin seine Arbeit als Grafiker. Ihm gehört das Werbeatelier «Hülle & Fülle», das seit 2017 im Liebefeld beheimatet ist. Hier arbeitet er gemeinsam mit Freischaffenden an den Werbeaufträgen und in seiner Freizeit an der Filmproduktion. Bei dieser wird er von Angela Siegenthaler unterstützt, die mit Festivals Kontakt aufnimmt, die Crew-Premiere organisierte und auch die Administration übernimmt. «Mein Geld verdiene ich in erster Linie als Grafiker. Die Filme sind im Moment nur mein ‹Museteil›. Ich suche zwar nicht aktiv nach Auftragsarbeiten, bin aber offen dafür. Allerdings ist meine Technik sehr aufwändig, das heisst, es braucht schon einiges an Geld, um einen Film zu realisieren», meint Philipp Bürge.
Viel Arbeit
Dank der Unterstützung der Berner Filmförderung, dem Aargauer Kuratorium, der Berner Burgergemeinde, «rfm» (Raum für Musik) und privaten Sponsoren wie «Caran d’Ache» und der Gemeinde Köniz konnte er seinen dritten Film «Flachmann» realisieren. Auch Crowdfunding spielte eine Rolle bei der Finanzierung. Das Projekt war eines der ersten auf wemakeit.com, einer Plattform, auf der man sein Vorhaben vorstellt und um Unterstützung bitten kann. Die zweite Produktion «Helv. Rep» war ein «Zwischenprodukt»: «Es ist eigentlich der Film meines Neffen. Er wollte als Abschlussarbeit der neunten Klasse einen Film machen und bat mich um Hilfe.» Auch Bürge brauchte für den «Flachmann» Unterstützung. Er gibt zu, dass er den ganzen Aufwand unterschätzte: «Ich hatte von einem der Finanzierern einen Zeitrahmen von fünf Jahren gesetzt bekommen. Irgendwann wurde mir klar, dass das nicht zu schaffen war. Ich habe ja jede der 1900 Figuren einzeln mit Bleistift gezeichnet. Danach wurden diese mit Kaffee koloriert, auf Karton aufgezogen und mit dem Japanmesser ausgeschnitten.» Er bekam eine Fristverlängerung gewährt und holte sich Hilfe bei seinen Freunden und deren Freunden: «Wir haben ganze Nachmittage mit Schneiden verbracht. Insgesamt haben mir 26 Leute dabei geholfen.» Pro Filmsekunde wurden zwölf Figuren verwendet und jede Aufnahme mit einem Schauspieler ist eine Einzelfotografie. Dafür mussten sich diese sehr langsam bewegen, teilweise auch bis zu 45 Minuten fast in der gleichen Pose verharren, dies sei sehr anstrengend. Wie viel Arbeit in dem Projekt steckt wird klar, wenn der in Köniz lebende Filmer erzählt: «Ich habe vorher noch nie eine Figur animiert und es ja auch nie gelernt. Daher habe ich gleichzeitig noch das Handwerk erarbeiten müssen. Die Entstehung ist immer wieder mit Scheitern verbunden. Man beginnt zu zeichnen, dann verwirft man alles wieder. Ist die Figur skizziert, wird sie aus jeder erdenklichen Perspektive aufs Papier gebracht. Es war mir aber schnell klar, dass es eine liebenswerte und unbedarfte Figur werden wird.» Ein Blick in sein Skizzenbuch lässt erahnen, wie viel Zeit der gebürtige Aargauer investiert hat. Insgesamt haben sein Team und er fünf Stunden und 50 Minuten pro Sekunde des Films investiert und das alles neben seiner regulären Arbeit, die natürlich Priorität hat. Philipp Bürge, der Schlagzeug spielt und früher eine eigene Musikschule besass, schrieb diesmal auch die Musik selbst. Das ist ein weiterer Grund für seine Begeisterung am Filmemachen: «Ich kann alles, was ich liebe, miteinander verbinden: Musik, Zeichnen, Bildgestaltung, Geschichte erzählen. Das fägt.»
Der Flachmann
In «Flachmann» geht es um die Figur eines Zeichners, die zum Leben erwacht, vor seinem Erschaffer flieht und sich in Caramelle verliebt. Sein Drang nach Freiheit widerspricht dem Willen des Zeichners. Doch ist dessen Wille wirklich so frei, wie er glaubt? «Ich möchte dem Zuschauer meine Perspektive nicht aufdrängen. Der Film soll unterhalten und nicht diktieren, was jemand denken soll. Die Geschichte arbeitet mit unterschiedlichen Realitätsebenen. Und jeder soll die Freiheit haben, selbst zu assoziieren.» Der Film wurde in Rumänien, Chile und Russland mehrfach ausgezeichnet und Bürge selbst gewann den ersten Preis in der Kategorie «new directors» am Kinder- und Jugendfilmfestival in Bilbao. Auch beim Berner Filmpreis hat er sich beworben: «Ich habe zwar nicht gewonnen, aber ich wurde für ‹BeMovie› ins Programm aufgenommen, wofür 18 Lang- und sieben Kurzfilme ausgewählt wurden, das ist schon eine Auszeichnung.» Aktuell ist Philipp Bürge dabei, den Stoff für einen neuen Film zu entwickeln. Dabei lässt er sich von den Kindheitserinnerungen eines heute 70-jährigen Geschwisterpaars aus dem Liebefeld inspierieren. Man darf also gespannt sein.


