Im 18. und 19. Jahrhundert verkehrten zwischen Thun und Bern 4 Fähren über die Aare. Heute ist die Fähre Bodenacher die einzige noch verbliebene Verbindung. Sie wird mit Beteiligungen von Bern, Belp und Köniz von der Gemeinde Muri bei Bern betrieben. Die Fährleute befördern jährlich rund 40’000 Passagiere. Die Fähre ist mit Ausnahme einer Woche im Februar für die Revision ganzjährig in Betrieb. Seit Frühjahr 2018 arbeitet Daniel Glauser, 58-jährig und gelernter Architekt, mit einem Pensum von 45 Prozent als Fährmann bei der Gemeinde Muri bei Bern. Daneben arbeitet er für seine Firma «useagain», wo er vor allem die Secondhand-Internetplattform «bauteilclick.ch» betreut, bei der man gebrauchte Bauelemente (Badewannen, Kühlschränke etc.) kaufen oder verkaufen kann. Glauser zählt zu den Pionieren in diesem Bereich. Ursprünglich hat er bei der Stadt Bern zusammen mit Erwerbslosen die Baubar betrieben, später war er Geschäftsführer des Dachverbands Bauteilnetz Schweiz.
In seiner Tätigkeit als Fährmann sieht Glauser durchaus Parallelen zu seinem Job bei «useagain». «Auch beim Fährbetrieb geht es um Lebenskreisläufe wie den Tagesablauf, die Jahreszeiten und die ressourcenschonende Fortbewegung mit der Kraft des Wassers. So gesehen ist es die logische Weiterführung meiner Lebensbiografie», erklärt Glauser.
Jede Fahrt ist anders
Aussenstehenden mag die Arbeit des Fährmanns eintönig erscheinen. Nicht so bei Glauser. Er sieht in jeder Überfahrt die Einmaligkeit. Wenige oder viele Passagiere, gesprächige oder stille Fahrgäste, Gruppen, Einzelpersonen, unterschiedlicher Wasserstand und die Farbenvielfalt des Flusses wechseln sich ab. Nicht immer ist die Aare so schön grün und «gluschtig», wie sie Musiker Endo Anaconda von «Stiller Has» besingt. Nach einem Gewitter kommt sie auch mal schön braun daher. «Als ich die Stelle antrat, dachte ich ‹das wird easy›, aber ich habe die physische Arbeit, das Handwerk unterschätzt. Wenn man einen Sommertag mit über 10 Stunden mit regem Fährbetrieb und vielen Fahrgästen hinter sich hat, weiss man am Abend, was man geleistet hat», betont Glauser. In der Auffahrtswoche inklusive Wochenende haben die Fährleute etwa 1800 Passagiere (!) befördert.
Motivierend und bereichernd
Im Fährbetrieb sieht Glauser auch etwas Meditatives. Die Arbeit in der schönen Natur mit dem Wasser hat für ihn etwas unglaublich Motivierendes und Bereicherndes. «Die Kraft liegt im Einfachen, im Wasser und im Repetitiven. Das Einfache haben wir in unserer Gesellschaft ein wenig verloren. Heute ist alles kompliziert, es braucht hunderte Besprechungen und viele Formulare, um etwas zu bewerkstelligen. Mein Job als Fährmann ist das Gegenteil zu unserer zielorientierten Gesellschaft mit immer mehr, immer schneller, immer besser. Fährmann ist eine Arbeit im Hier und Jetzt. Das Unmittelbare ist dabei ganz wichtig. Es ist nicht etwas, das ich planen und projektieren muss, das habe ich mein Leben lang gemacht», sinniert Glauser. Aber für Tagträume auf der Fähre bleibt ihm keine Zeit. Die Arbeit auf dem Passagierschiff erfordert volle Konzentration. Der Fährmann trägt die Verantwortung und muss dafür sorgen, dass die Passagiere und insbesondere die Kinder sich nicht hinauslehnen, die Hunde an der Leine sind und die Aare hindernisfrei überquert werden kann. Im letzten Sommer war dies aufgrund der Tausenden von «Gummiböötler» zwischendurch nicht mehr möglich und der Fährbetrieb musste kurzzeitig unterbrochen werden.
Glauser will der Kundschaft schöne, eindrückliche Fahrten über die Aare bieten. Denn für viele ist dies, zusammen mit der Einkehr im gemütlichen Restaurant «Fähribeizli», der Höhepunkt ihrer Wanderung entlang der Aare. Kinder äussern manchmal den Wunsch nach einem schnellen «Rüberfräsen» an das gegenüberliegende Ufer, den ihnen Glauser gerne erfüllt. Und gelegentlich möchte jemand eine Gabe ins Wasser legen, auch das ist möglich.
Back to the roots
Das Wasser hat den Vater einer erwachsenen Tochter schon immer fasziniert. Im Alter von 23 Jahren hat er ein Jahr lang in der Wildnis von Kanada in einem Resort für Fischer gearbeitet. «Das war für mich eine sehr erfüllte Zeit. Vor 10 Jahren sagte ich mir, so etwas mit dem Element Wasser möchte ich wieder machen», so Glauser, der in Muri an der Aare aufgewachsen ist. Seine Grosseltern haben im Aarwil einen Bauernbetrieb geführt. So betrachtet, ist Glauser als Fährmann zu seinen Wurzeln zurückgekehrt.
Seit kurzem schreibt Glauser seine Erlebnisse und Beobachtungen auf: www.faehrima.ch –
im Blog «Logbuch eines Fährmanns», aus dem er später ein Buch verfassen möchte.