Dass Judith Wyder den vereinbarten Treffpunkt auf dem Gurten ohne Kompass und Karte findet, darf von einer Orientierungsläuferin nicht überraschen. Bei einer ihrer Klasse erst recht nicht. Sie wird im aktuellen Ranking des Internationalen Verbandes als die Nummer 3 der Welt geführt. In der Disziplin Sprint findet man sie gar auf Platz 2 der Weltrangliste.
Wie sieht denn jetzt, in der Winterpause, das Leben einer Orientierungsläuferin aus? «Nach Möglichkeit spontaner als während der Saison, aber natürlich sehr strukturiert», antwortet Judith Wyder, und zählt auf: 2x täglich Lauftraining, dazu Krafttraining, Radfahren, später Langlauf. Um die Belastung in Grenzen zu halten, läuft sie pro Woche maximal 15 Stunden.
«Gerade in den Wintermonaten», ergänzt sie, «ist das Arbeiten mit Karte und Kompass ein fester Bestandteil des Trainings.»
«Die Faszination am OL ist», führt sie weiter aus, «nicht nur schnell zu laufen, sondern auch schnelle und richtige Entscheidungen auf der Karte zu treffen». Wenn die körperliche Leistung über das Limit hinaus geht, lässt die Konzentration für die Kartenarbeit nach, die Gefahr falscher Entscheidungen steigt. Mentale Stärke, um die nötige Konzentration aufrechtzuerhalten, ist deshalb ein wichtiger Erfolgsfaktor. Der Kopf als Kontrollfaktor über den Körper. Es ist dieser schmale Grat, auf dem sich OL-Läufer bewegen, der Judith Wyder seit ihrer Kindheit fasziniert.
Den internationalen Durchbruch schaffte sie im Jahr 2011, als sie an den Weltmeisterschaften überraschend die Bronzemedaille in der Mitteldistanz gewann. In den folgenden zwei Saisons gelang es ihr bei Titelkämpfen nicht mehr, alle Faktoren in einem Einzelrennen zusammenzufügen. Gold und Bronze in den Staffelrennen mussten genügen. Der Zeitpunkt, wo alles passt, liess auf sich warten. Aber er kam. Und wie er kam: An den Europa- und Weltmeisterschaften im Jahr 2014 gewann sie je drei Goldmedaillen und avancierte zur OL-Überfliegerin.
Hindernisse gehören bei Judith Wyders Sportart dazu. Dass sie sich neben dem Sport grosse Herausforderungen auferlegt, sieht sie jedoch nicht als Hindernis. Sie leistet ein 30%-Pensum als Physiotherapeutin, mit ihrem Lebenspartner Gabriel Lombriser, als Gigathlet ebenfalls Spitzensportler, hat sie die Organisation «indurance Switzerland» gegründet. Diese bietet ein breites Angebot an multisportiven Trainingskursen für Freizeitsportler an.
Da Judith Wyder frei von Schwarz-Weiss-Denken ist, erstaunt auch ihre Antwort auf den Hinweis, ob das alles überhaupt zu vereinbaren sei, nicht im geringsten: «Jede Sache hat zwei Seiten», sagt sie mit Bestimmtheit. Sie habe sich so entschieden und betont ihre Bereitschaft, einiges zu investieren. Weil ihre jetzige Lebensphase für sie stimmt. Mehr noch: Sie erachtet ihre Lebensart als Privileg, der Sport hat ihr sehr viel zurückgegeben von dem, was sie investiert hat.
Auch ein zweiter Versuch, ihr ein Klagen über ein entbehrungsreiches, hartes Leben voller Verzicht zu entlocken, scheitert.
Einen Rückschlag musste Judith Wyder dieses Jahr anlässlich der Weltmeisterschaften hinnehmen. Nach dem Sprint-Staffelrennen war sie völlig entkräftet und verzichtete auf die folgenden Einsätze. Es folgte eine schwierige Phase, geprägt von Ungewissheit über die plötzliche Schwäche. Und es folgten mediale Spekulationen: Ob sie die Leistungsexplosion nicht verarbeitet habe oder ob die Erfolge vom Vorjahr nur ein positiver Ausreisser gewesen seien. «Medien», sagt Judith Wyder zu diesem Thema, «berichten gerne über Erfolge der Sportler. Aber eben auch über Misserfolge». Dafür habe sie Verständnis. Auch hier: «Jede Sache hat zwei Seiten.»
Judith Wyder antwortete eindrücklich auf diese Zweifel: Beim Weltcupfinale im Oktober dieses Jahres erreichte sie den fünften Platz über die Mitteldistanz. Ihr Rückstand auf die Siegerin entsprach ziemlich genau jener Zeit, die sie nach einem Fehler auf dem Weg zum ersten Posten verloren hatte. Da hat sie tatsächlich für einmal den Weg nicht gefunden. Trotz Kompass und Karte.
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