Zeitgeist spielt auch in der Pfadi eine Rolle. So hätte es wohl einen «Skandal» gegeben, wenn Lord Baden-Powell («Bi-Pi») das erste Pfadilager 1907 geschlechtsgemischt durchgeführt hätte. Unangemeldet tauchten 1909 jedoch am ersten Pfadfindertreffen in London mit 11’000 Teilnehmenden einige von der Pfadiidee begeisterte Mädchen auf. Bi-Pi war erstaunt und bald überzeugt vom Sinn einer Mädchenbewegung: «Die Pfadfinderinnen waren da, nun galt es, ihnen ein Programm und eine Leitung zu geben und die Auswüchse, die in kritikloser Nachahmung der Buben lag, in angepasste Bahnen zu lenken» (Bi-Pi in «Girl Guiding», 1910). Die Leitung der Pfadfinderinnen übernahm seine Schwester Agnes, später Bi-Pis Ehepartnerin Olave St Clair Baden-Powell. «Koedukation» war damals undenkbar, deshalb entstand eine von den Boy-Scouts unabhängige Pfadfinderinnen-Organisation. So gingen überall auch auf nationaler und lokaler Ebene die Pfadfinder und Pfadfinderinnen getrennte Wege: Der Schweizerische Pfadfinderbund (SPB) wurde 1913 gegründet, sechs Jahre später der Bund Schweizerischer Pfadfinderinnen (BSP).
Zusammenarbeit führte zu Fusionen
Die Einführung von Jugend+Sport im Jahre 1972 förderte die Zusammenarbeit von BSP und SPB: Es gab das gemeinsame Sportfach «Wandern + Geländesport» (heute Lagersport/Trekking) und je eine Vertretung in der Fachkommission der Eidg. Turn- und Sportschule Magglingen. Das zwang die beiden Pfadiverbände, gemeinsame Ausbildungsstrukturen zu schaffen: Das fundamental neue Ausbildungsmodell von 1980 ist in den Grundzügen noch heute gültig. Die gemischten Ausbildungskurse trugen wesentlich dazu bei, dass die beiden Pfadibünde 1987 zur Pfadibewegung Schweiz (PBS) fusionierten. Seither ist die Pfadi bestrebt, dass beide Geschlechter angemessen in den Leitungsorganen vertreten sind. Auf Bundes- und Kantonsebene ist das zwingend vorgeschrieben. Obschon diese Regelung für die Abteilungen nicht gilt, wird dies auch hier angestrebt. Seit 1982 ist Falkenstein eine geschlechtsgemischte Abteilung, welche von einem zwei- bis vierköpfigen Team geleitet wird. 36 Jahre war dieses geschlechtsgemischt, nur vier Jahre ohne weibliche Vertretung und zwei Jahre ohne männliche.
Koedukation
Die Abteilungsfusion bedeutete nicht, dass es nur noch geschlechtsgemischte Gruppen gibt. Die Cordées und Raiders (heute Pios) sind seit 1982 im gleichen Trupp. 1999 erfolgte die Gründung von Akela, der ersten koedukativen Wolfsgruppe. Die 2006 eröffnete Biberstufe für Mädchen und Buben im Kindergartenalter ist gemischt. 2018 wurde Kognoi als erste gemischte Einheit der Pfadistufe gegründet. Aktuell sind drei der fünf Wolfseinheiten koedukativ, zwei der fünf Pfadieinheiten ebenfalls.
Erstes Mädchen bei den Wölfen
Vor 50 Jahren wollte Elisa Weingartner unbedingt wie ihr Bruder in die Schlierner Wolfsmeute Wontolla. In Köniz gab es damals noch keine Bienlistufe. Entgegen der damals geltenden Abmachungen von BSP und SPB war das eigentlich nicht vorgesehen, der Falkensteiner Abteilungsleiter erlaubte es. Die heute 58-jährige Lehrerin sagt dazu: «Ich habe das cool gefunden und es auch nie bereut. Ich war gerne mit den Buben unterwegs. Es war für mich auch nicht komisch, unter Buben zu sein, ich hatte zwei Brüder, somit war das für mich normal.» Ihre weitere Pfadilaufbahn verlief nach den Wölfen «konform»: Fünf Jahre Pfadistufe im Flammen-
trupp der Könizer Pfadfinderinnen, dann CoRa (Cordée/Raider) und 1986/87 war sie Leiterin des Schlosstrupps.
Pfadi heute – offen für alle
Pfadi steht für Offenheit und Toleranz. Mit ihrem Programm will sie alle Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen ansprechen. Die Leitenden sind sich der verschiedenen Bedürfnissen der Mitglieder bewusst und arbeiten zusammen mit den Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen daran, die gegenseitige Akzeptanz zu fördern.