Am 1. August blickt die Schweiz auf ihre Wurzeln zurück und erinnert sich an zentrale Kapitel ihrer Geschichte. Ein besonders prägendes Ereignis war die Gründung des Bundesstaates im Jahr 1848, vor genau 177 Jahren. Nur ein Jahr zuvor war mit dem Sonderbundskrieg die letzte militärische Auseinandersetzung auf Schweizer Boden zu Ende gegangen, ein Bürgerkrieg zwischen liberalen und katholischen Kantonen. Die neue Bundesverfassung legte den Grundstein für das moderne politische System mit Parlament, Bundesrat und Bundesgericht. Erstmals wurden Exekutive, Legislative und Judikative voneinander abgegrenzt. Der Föderalismus lebte in einer neuen Form mit all seinen Vor- und Nachteilen weiter.
Meilensteine der Schweizergeschichte
Was hat sich in den letzten 177 Jahren besonders herauskristallisiert? Die Welt verändert sich ständig, und auch die Schweiz bleibt davon nicht unberührt. Das geografisch kleine Land im Herzen Europas wurde immer wieder vor grosse Herausforderungen gestellt und fand dabei seine ganz eigenen Wege. Ein Blick auf markante Wendepunkte der jüngeren Geschichte macht das deutlich: Erst am 7. Februar 1971 erhielten die Frauen in der Schweiz auf nationaler Ebene das Stimm- und Wahlrecht. Ein weiterer bedeutender politischer Moment war die Ablehnung des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) durch die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger mit 50,3 %. Das geschah, obwohl sich der Bundesrat, die Mehrheit des Parlaments sowie Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften für eine engere Anbindung an die EU ausgesprochen hatten. Dieses Ergebnis zeigt eindrücklich, wer in der Schweiz bei wichtigen Entscheidungen das letzte Wort hat. Viele Initiativen und Referenden legten einen langen Weg durch tiefe Täler und über hohe Berge zurück, bis sie zur Volksabstimmung gelangten. Dort entschied die Stimmbevölkerung mit einem klaren Ja oder Nein über den weiteren Kurs. Wie bei einer Familienwanderung über Stock und Stein stellten sich die Menschen in der Schweiz immer wieder dieselbe Frage: «Welcher Weg ist der beste?» «Nach rechts abbiegen?» «Oder lieber nach links?» «Oder doch geradeaus auf bekannten Pfaden?» Oft war man sich uneinig über die Richtung. Und doch blieb die Schweiz eine Gemeinschaft, eine Familie, die dank ihrer Vielfalt zu einer starken Einheit zusammengewachsen ist.
Die Schweiz im Wandel der Zeit
Wer mit seinen Liebsten unterwegs ist, bleibt hin und wieder stehen. Dabei blickt man zurück, schaut voraus und geniesst das einzigartige Panorama der umliegenden Alpen. Der 1. August ist genau so ein Moment. Die Schweiz mit ihren 26 Kantonen und vier Landessprachen ist das Zuhause von neun Millionen Menschen und genauso vielen Perspektiven darauf. Wird es der Schweiz gelingen, ihren Platz in einer zunehmend globalisierten und (multi)polaren Welt zu finden? Kann sie ihre eigenen Interessen durchsetzen und dabei gleichzeitig an die weniger privilegierten Länder denken? Findet sie die richtigen Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit? Gibt es richtige Antworten? Ist alles nur Schwarz oder Weiss? Oder liegt die Wahrheit nicht oft in den vielen Grautönen dazwischen? In diesen polarisierenden Zeiten, in denen Populismus und Ideologisierung um sich greifen und manch freier Geist in geistige Ketten gelegt wird, steht eines fest: Schwierige Fragen lassen sich nicht mit einfachen Antworten lösen. Unterschiedliche Meinungen sind unvermeidlich, und idealerweise setzen sich die überzeugendsten Argumente durch.
Freude herrscht
Der 1. August ist nicht nur ein Moment der Besinnung, sondern auch einer der Freude. An diesem Tag feiern die Menschen in der Schweiz, was 1291 mit dem Bundesbrief seinen symbolischen Anfang nahm. Über 600 Jahre später, 1891, wurde die erste offizielle Bundesfeier begangen. Seit 1994 ist der Nationalfeiertag auch gesetzlich ein arbeitsfreier Tag. Ob beim Höhenfeuer, beim Feuerwerk oder beim Brunch auf dem Bauernhof. Die Menschen, die der Schweiz ihr Gesicht geben, kommen zusammen und feiern das, was sie verbindet. In diesem Sinne: Lange sollst du leben, Helvetia. Ein Hoch auf die Schweiz. Möge das weisse Kreuz auf rotem Grund auch in stürmischen Zeiten beständig für nachkommende Generationen wehen.


