Laufen Aargauer Beamte mit der Stoppuhr rum?

Laufen Aargauer Beamte mit der Stoppuhr rum?

Um ehrlich zu sein: Nein, ich begreife die heutige Arbeitswelt nicht mehr. Und glauben Sie mir, das ist nicht die Ansicht eines alten Mannes, den die Zeit überholt hat (oder eben doch?), sondern eines Zeitgenossen, der früher effizient arbeiten konnte. Motto: «Für Pendenzen habe ich keine Zeit» und «Gmacht isch gmacht». Verantwortung wird heute nämlich geteilt, was dazu führt, dass spontane Entscheide oder Eigenverantwortung gar nicht mehr möglich sind.

Ich behaupte mal: «Effizienz» ist heute aus allen Management-Handbüchern gestrichen, unkompliziertes Handeln unerwünscht. Ich zeige Ihnen das gleich an einem Beispiel auf. Jede Wette, Sie haben ebenfalls einige Müsterli von administrativem Schwachsinn auf Lager. Also denn: Für eine Gruppe von Alterswohnheimen darf ich alle 2 Monate die Personalzeitung realisieren. Die Verantwortlichen lassen mir dabei freie Hand (jaja!), ich weiss selber, wo die Leitplanken stehen. In jeder Ausgabe unterhalte ich mich auch mit einer Bewohnerin oder mit einem Bewohner über ihr/sein Leben. Es sind jeweils Gespräche mit Zeitzeugen, die unter die Haut gehen, wenn man erfährt, dass ein heute 76-jähriger Berner verdingt wurde – wie seine 14 anderen Geschwister auch. Oder wenn eine Frau sagt: «Ick habe Berlin brennen jesehen.»

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Wenn irgendwie möglich, illustriere ich diese Begegnungen auch mit Fotos, die ich meistens von meinen Gesprächspartnern erhalte, was nicht immer möglich ist, sodass ich versuche, auf anderen Wegen an Bilder zu kommen. Eine Vorbemerkung dazu: Ich habe Zeit meines Lebens auch in der Kommunikation gearbeitet. Will heissen: Kam zum Beispiel die Anfrage eines Journalisten, wurde sein Anliegen innert weniger Stunden erledigt, manchmal nicht ganz nach Lehrbuch, das gebe ich zu. Nur war das seinerzeit noch möglich. Zack!

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Zur Sache: Eine Gesprächspartnerin erzählte mir, sie hätte seinerzeit als Mädchen nach der Schule noch in der Spedition bei Ringier in Zofingen arbeiten müssen, weil ihre Mutter früh gestorben war, der Vater Nachtwächter mit einem zu kleinen Lohn, um alle 6 Geschwister durchzubringen. Verdingen wollte er sie nicht, weshalb die Kinder zum Teil mitarbeiten mussten. Leider hatte die Frau kein Foto aus ihrer Ringier-Zeit.

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Ich schreibe Ringier an, mit der Bitte, mit eine Archivaufnahme aus den 40er-Jahren der Spedition zur Verfügung zu stellen. Keine Antwort. Eine Woche später dopple ich nach. Keine Antwort, weshalb ich nach 14 Tagen telefoniere. Doch ja, man habe meine Anfrage gesehen, könne mir aber nicht helfen, weil sich das gesamte Fotoarchiv aus jenen Tagen beim Kanton befindet. Immerhin erhalte ich jetzt eine Kontakt­adresse beim Kanton. Damit geht es richtig los.

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Meine Mail um Unterstützung samt Erklärung an das Departement Bildung, Kultur und Sport des Kantons Aargau wird umgehend beantwortet, mit einigen Anhängen, die ich auszufüllen habe, bevor man überhaupt auf mein Anliegen eingehen kann. Ich muss erklären, worum es geht, ob das Foto veröffentlicht wird, wer genau es benutzen will und, und, und. Zum Glück ist mein Anliegen keine wissenschaft­liche Arbeit, sonst müsste ich wesentlich mehr Angaben machen: Forschungsprojekt, Diplomarbeit, Dissertation, Masterarbeit, Habilitation?

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Dann die Schwanzfeder. In einem weiteren Anhang wird mir das Aufwandprozedere erklärt, denn gratis ist das alles nicht, das wär mir no! Es gibt eine Grundgebühr pauschal von 20 Franken für jede Bestellung. Dann kommen die Bearbeitungskosten dazu: Die erste Viertel(such)stunde ist kostenlos, anschliessend wird der Taxameter in Betrieb genommen, mit 20 Franken pro angebrochene Viertelstunde (maximal aber 200 Franken pro Bild, bei mehreren Bildern kann es teurer werden). Ich frage mich: Laufen die Beamten beim Kanton Aargau mit der Stoppuhr rum? Item, es kommen 10 Franken pauschal für jede Gebrauchsdatei dazu (was das auch immer sein mag).

Spannend wird es bei den digitalen Herstellungskosten. «Verwaltungsintern» ist das kostenlos, die Formulare jedoch gehören ausgefüllt, wo käme man sonst hin? Bearbeitungen für Wissenschaft/Kultur kosten die Hälfte – für bereits vorrätige TIFF und neu zu erstellende – verglichen mit kommerziellen oder privaten Nutzern. Die Herstellung von Abzügen wird pauschal nach Absprache verrechnet, zuzüglich externe Herstellungskosten. Es kommen zum Schluss noch Nutzungsgebühren Print/Online dazu und die Versandkosten, wenn nicht per Mail (kostenlos).

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Sie können nicht mehr folgen, fühlen sich überfordert, liebe Lesende? Ich auch, weshalb ich auf das Foto der Ringier-Spedition verzichtet habe. Was man sich jetzt aber trotzdem vorstellen muss: Wie viele Stellen – nicht bloss bei den Aargauern – werden durch diese Art der Arbeitsbeschäftigung am Leben erhalten, nur damit man alle internen Prozesse korrekt befolgt? Bireweich. Aber möglicherweise habe ich alter Mann wirklich nicht kapiert, wie die Arbeitswelt von heute funktioniert. Sygseso.

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