Regen Sie sich manchmal über gewisse Wörter auf? «Okidoki» etwa oder etwas moderner «gechillt»? Keine Sorge, Sie leiden höchstwahrscheinlich an keiner Sprachintoleranz oder Akzeptanzinsuffizienz. Zumindest dem Slam Poeten Remo Zumstein geht es nämlich genauso. Mit dem Begriff «Eigenverantwortung» etwa. «Ich brauche dieses Wort gar nicht, ich mache sie konkret», meint er in seiner «gechillten», pardon, ruhigen und besonnenen Art. «Es klingt gut, funktioniert aber nicht», ist er überzeugt. Wenn etwas so allgemein gefasst wird, «umhüllt es den Schleier der Unwissenheit.» Und den lüftet der Slam-Poet wie der Zauberer das Tuch, wenn sein Kunststück die Menschen verblüfft.
Anti-egoistisch
Wieso eigentlich? «Ich versuche bei jeder grossen, moralischen Entscheidung mich von allem zu lösen, so als wäre ich noch gar nicht auf der Welt, weder Frau noch Mann, weder aus Europa noch aus Afrika. Aus dieser Sicht treffe ich eine Entscheidung, ohne egoistische Bedürfnisse zu gewichten», verblüfft er. So gelingt es, zu reflektieren, wertfrei zu urteilen und Verantwortung zu übernehmen statt Eigenverantwortung. Kein plumper Gedanke, sondern eine gelebte Haltung.
Philosophie des Alltags
Das Beispiel verdeutlicht: hier steht ein Künstler gegenüber, der sich nicht im Mainstream der Comedyinhalte Flugreisen, Politik oder Männerfussball suhlt, sondern eigene Gedankengänge weiterspinnt. Wenn ein Thema abgelutscht ist, suckelt er nicht daran weiter, sondern sucht anti-egoistisch den neuen Bereich oder die andere Sichtweise. Scheinbar zufällig schlendert Zumstein in ein Thema, spinnt nach und nach die einzelnen Betrachtungen wie Fäden zusammen, am Schluss steht ein ganzes Netz «und dann muss es toben», wünscht sich der Künstler. Und es tobt. Unlängst holte sich der Könizer erneut den Schweizermeistertitel, diesmal in der Teamdisziplin. Der Poet wird zum Wiederholungstäter und etabliert sich nach und nach im Olymp der Szene. Olymp der Szene? Poetry Slam ist weder eine olympische Disziplin noch füllt man mit diesem Genre ganze Fussballstadien. Gut so. Denn: «Es muss nicht immer der Schenkelklopfer sein, man darf auch nachdenkliche Texte bringen. Für mich ein grosser Reiz und ein Schritt, den ich erst nach sieben Jahren gewagt habe», anti-egoistisch, philosophisch und wortstark.
Die Kraft der Wörter
Selbst wenn es für eine Anfrage um Läuse geht. «Oft meint man etwas sei langweilig, aber da spricht nur die Stimme der Unwissenheit im Kopf. Ja, mich fasziniert fast alles, wenn ich mich damit einmal auseinandersetze.» Auch Blattläuse, Dämmstoffe oder Zahnfüllungen. Die Fäden, die Zumstein aus einem Thema spinnt, erklingen und umhüllen das Publikum mit einer Ambiance. Er spielt mit den Wörtern, bewörtert das Zusammenspiel, «Es braucht ein Wort, damit eine Vorstellung stattfindet. Wörter können den Horizont erweitern oder verengen», ist er sich sicher. Da der Horizont philosophisch betrachtet unendlich ist, öffnen sich auch in seinen Texten die Tiefgänge, Abgründe und Höhenflüge einer Szenerie bis in die Individualität jeder Zuhörerin oder jedes Zuhörers. Je mehr er mit der Sprache spielt, desto mehr Fäden er verbindet, desto faszinierender seine Aussagen. Etwa, wenn er sich alter Sprichwörter bedient, deren Klang beibehält, den Inhalt jedoch neu bestückt. «Dr Johann Sebastian isch nid ganz bache gsi.»
Remo Zumstein, der redende Denker und denkende Redner. Ohne dass er es will, werden seine Texte zum Beleg dafür, dass die Welt von heute Poetry Slam zwar noch als Kleinkunst einstuft und die Literatur als hohe Kunst. In der Welt von morgen aber könnten Poetry-Slam-Texte zur Literatur avancieren. Remo Zumstein als Goethe der Zukunft? Oder ist er ein bisschen Franz Hohler? Nichts überstürzen, schliesslich soll man ja «öpper nid mit ihre vergliiche», respektive Äpfel mit Birnen oder Zumstein mit Schiller.