Mensch erkrankt – Natur erholt?

Mensch erkrankt – Natur erholt?

China sieht seit langem wieder einmal blauen Himmel statt Smog. Venedig sichtet Delfine vor der Stadt und das Ozonloch ist kleiner geworden. Die Coronakrise hilft der Natur kurzzeitig; weltweit, schweizweit und in unserer Region. Weshalb dieser Effekt nur zu einer Verschnaufpause verkommen könnte und was man daraus lernen sollte, erklären mehrere Experten.

«Die Tragik von Corona bedeutet eine positive Entwicklung für das Klima. Überall, wo die Schadstoffbelastung der Luft erheblich war, ist diese zurückgegangen», erklärt Professor Thomas Stocker. Der renommierte Klimaforscher und Präsident des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung in Bern sieht diese Atempause für die Natur auch in unserer Region. Wenn der «Lockdown» überwunden sein wird, müsse «ein Bewusstsein bei der Bevölkerung wachsen, dass es auch so geht. So sollte Reisen in Zukunft etwas Besonderes sein und nicht nur reiner Konsum», nennt der Experte ein Beispiel.

Eine Frage des Bewusstseins
«Gerade dieser Tage wird die Natur zum wichtigen Erholungsraum als Abwechslung zum «Bleiben Sie daheim»-Alltag. «Nun gilt es, dieses Bewusstsein zu packen und daraus nachhaltigen Ressourcen- und Landschaftschutz zu gestalten», resümiert die Politikwissenschaftlerin Prof. Karin Ingold von der Universität Bern. Ist das möglich? «Die Wirtschaftseinbussen können verhindern, dass das Klimathema prominent auf der politischen Agenda bleibt. Sobald die Krise überwunden sein wird, wird sich dieser Zustand aber wieder ändern», bleibt sie zuversichtlich, was das Bewusstsein der Menschen angeht. «Je länger die Krise anhält, desto mehr kann es zu einer Marktbereinigung kommen», meint Professor Stocker in Hinblick auf die «Billig-Airlines». Wie die Politikwissenschaftlerin, so gewinnt auch der Klimaexperte der Krise etwas Gutes ab und hofft auf ein geschärftes Bewusstsein seitens der Bevölkerung. Gewisse haben vielleicht das Home-Office als Alternative aus der Krise heraus so gut entwickeln können, dass daraus flexiblere Arbeitszeiten resultieren und die Pendlerströme der Zukunft vielleicht etwas breiter abgefedert werden können. Alles positive Einflüsse für die Umwelt.
Ganz ähnlich klingt Yves Zenger von Greenpeace Schweiz: «So schlimm und existenziell die Coronakrise ist: Sie ist eine grosse Chance, unseren Umgang mit der Natur zu reflektieren». Zenger ist aber besorgt, was die Zeit nach Corona angeht: «Sobald alles wieder beim Alten ist, werden die positiven Effekte ziemlich schnell verpufft sein.» Skeptisch ist auch Jürg Buri, Biologe und Geschäftsführer von WWF Bern: «Es gibt nach wie vor keine Mehrheit, um die Klimaziele von Paris im Parlament ernsthaft anzugehen und zu erreichen. Die Viren- und Wirtschafts-Krise ist dabei wenig hilfreich.» Die Massnahmen müssen für ihn wie für Zenger, Stocker und Ingold einschneidend sein, will man die Klimaziele erreichen.
Eine Frage der Werte
Viele Menschen sind gezwungenermassen ein wenig zur Ruhe gekommen. Zeit für sich und die Liebsten, Zeit zum Sein. Der moderne Mensch sucht über Meditation, Klosteraufenthalte oder Yoga seine Ruhe; nun hat ihm Corona Ruhe und Achtsamkeit auferlegt. Werte, die man gemeinhin in der heutigen schnelllebigen Zeit als bedroht oder geopfert sieht, rücken wieder mehr ins Zentrum. Die Frage darf getreu Professor Stocker lauten: Ist die Bevölkerung bereit, diese Werte über die Coronakrise hinaus zu leben? Die Natur profitiert von der einkehrenden Ruhe. Insbesondere die Wildtiere. Wobei der Freiburger Biologe Andreas Binz vom Amt für Wald und Natur noch einen weiteren Aspekt bereithält: «Die Hauptursache für die statistisch erfassten Verluste an Wildtieren im Kanton Freiburg, ist der Strassenverkehr. Weniger Leute auf der Strasse bedeuten weniger solcher Verluste, was die Wildhüter unseres Kantons bestätigen.» Auf der Kehrseite der Medaille ist jedoch die vermehrte Nutzung von Wald und Bergen in der Freizeit. «Die damit verbundenen Störungen können sich negativ auswirken, insbesondere während der Wurf- und Nistperiode», weiss Binz und mahnt die Regeln an, insbesondere für die Biker, die mindestens in den Wäldern des Kantons nur auf motorfahrzeugtauglichen Wegen verkehren dürften.

Eine Frage der Achtung
Gelingt es der Bevölkerung nach der Krise weiterhin bewusster zu leben? Die Natur hat gerade mal knapp ausgeatmet. Für Zenger wäre der Fortbestand dieser Ruhe zentral. Um zu verhindern, dass die Erholung bei Natur und Umwelt verpufft, braucht es «eingreifende und wirksame Massnahmen bei Klimaschutz beziehungsweise in der Mobilität, zum Schutz der Wildtiere sowie beim Schutz unserer Gewässer und Böden».
Lehren aus der Krise, Bewusstsein für sich, seine Zeit und die Umwelt, auf all das hoffen Stocker, Ingold, Buri, Zenger und Binz. Dann hätte der erkrankte Mensch, der erkrankten Natur geholfen, gesund zu werden. Gemeinsam.

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