Der Fund von ein paar alten Skiern auf dem Bauernhof seiner Eltern in Obermettlen veränderte das Leben von Hansueli Jenni nachhaltig. Er entdeckte seine Liebe zum Skifahren und machte ab da die Hügel in seiner Umgebung unsicher. Ein Auto besass die Familie nicht. Dann kam der Tag, der sein Leben veränderte. Im Januar 1976 sah der damals 23-Jährige einen Beitrag über das Inferno-Rennen im Fernsehen und beschloss, dass er im nächsten Jahr dort starten würde. Sein Vater war überhaupt nicht begeistert von der Idee und erklärte ihn für verrückt. Doch der Jungspund liess sich nicht davon abhalten. Er wurde Mitglied beim Ski-Club Flamatt und meldete sich für das Inferno-Rennen 1977 an. «Ich ging etwas blauäugig an die Sache ran, ich war der Meinung, dass man auf der Abfahrt einfach nur schnell mit ein paar Kurven runterfahren müsste. Doch als mich Phippu vom Skiclub fragte, ob ich denn zwei Paar Abfahrtsski, einen Rennanzug und viel Zeit habe, dämmerte es mir, dass wohl doch mehr nötig war als der Mut von Franz Klammer und die Ästhetik von Bernhard Russi. Denn der Mut und die Ästhetik waren damals das Einzige, was ich hatte», erzählt Jenni lachend. Einige lehrreiche Rennen später war es soweit. Hansueli Jenni und ein Freund vom Skiclub fuhren nach Mürren. Mit im Gepäck: der Fischer C4. Der weiss-rot-blaue Ski, den auch Franz Klammer fuhr, war der ganze Stolz des jungen Bauern.
Schilthorn
Noch heute weiss er, dass er die Startnummer 355 hatte, obwohl diese die Einzige ist, die in seiner heute beachtlichen Sammlung fehlt. Da in diesem Winter nicht genug Schnee lag, ging das Rennen nur bis zur Grütschalp und nicht ins Dorf Lauterbrunnen hinunter. Hansueli erzählt, wie unglaublich die Eindrücke waren, nachdem er zum ersten Mal so hoch oben in den Bergen war und das Panorama bewundern konnte: «Das Schilthorn – vorne oder hinten von Eiger, Mönch und Jungfrau je nach Standort – der Mut von Klammer, die Technik von Russi, der Fischer C4, der Virus tief in mir und der grandiose Ausblick auf die Berge, da hat es mich gepackt. Das Schilthorn, in das ich mich verliebte, ist mein ständiger Begleiter geworden. Wenn Föhnwetter herrscht, fahre ich zum Aussichtspunkt Wasserreservoir Höhe, um den Hügelzug zusammen mit den Berner und Freiburger Alpen zu bestaunen. Vor allem der Blick zum Schilthorn erwärmt jedes Mal mein Herz.»
Ein schnelles Ende
1136 Teilnehmer hatten sich für das Rennen am 30. Januar 1977 gemeldet, an den Start gingen 906 und 885 erreichten am Ende das Ziel. Hansueli Jenni war einer davon. «Gottseidank hatte es über Nacht noch einen halben Meter Neuschnee gegeben, denn am Tag vorher bei der Besichtigung war es sehr eisig gewesen, da war mein Mut doch zum ‹Mütli› geworden. Mit dem Schnee war die Piste nicht mehr ganz so schnell, das könnte ein Vorteil für mich sein, dachte ich. Mit meiner Erfahrung nützte das aber gar nichts. Denn es wird gar keine Piste präpariert. Inferno-Rennen, das muss man selbst erleben», lacht Hansueli Jenni. Genau dieser Neuschnee wurde ihm zum Verhängnis. In der Verengung kurz nach dem Start hatten sich Bodenwellen gebildet, diese erkannte der damals 24-Jährige zu spät. Es gab einen Knall und er fand sich 30 Meter weiter unten im Neuschnee ohne zu wissen, was gerade passiert war. Er wollte schnell wieder auf die Skier zurück, schliesslich lief die Zeit, doch dann kam der Schock. Der Fischer C4 hatte dem Druck der Welle nicht standgehalten und war in zwei Teile gespalten. Obwohl ihm der Pistenwart die Skier eines Verunfallten anbot, lehnte Jenni ab. Trotzig machte er sich auf den Weg – mit einem Ski, 2 Stöcken und dem zerlegten 2. Ski. Und er schaffte es ins Ziel. «Ich habe erstaunlicherweise nie ans Aufgeben gedacht. Denn schon damals trieb mich die Leidenschaft zum Weitermachen an. Ich dachte zwischendurch schon an das nächste Jahr und daran, was ich besser machen würde», erklärt der Sportler. «Ich habe viel gelernt, zum Beispiel dass es nur einen Sieger geben kann oder dass aller Ehrgeiz mit Unterstützung von Klammer, Russi und dem C4 nichts nützt, wenn das Glück nicht auf deiner Seite ist. Einfach runterfahren, Tempo geniessen und das war es, dass hatte ich in meiner Naivität geglaubt. Aber ich wurde schmerzlich eines Besseren belehrt. Heute bin ich immer noch froh darüber, wie das Ganze gelaufen ist. Wer weiss, ob ich sonst noch dabei wäre. Die Freude dabei zu sein, ist immer noch ungebrochen.» Er hatte niemandem von seiner Teilnahme am Inferno-Rennen erzählt, aber nachdem ein Foto mit ihm und seinem gebrochenen Ski in der Zeitung erschien, folgten viele Anrufe mit der Frage, ob er das auf dem Bild sei.
Velofahren
Für das Jahr darauf begann er schon im Sommer zu trainieren: «Ich habe gemerkt, wenn man im Sommer etwas macht, ist man im Winter fitter. Ich fing an Velo zu fahren. Das hatte auch den positiven Nebeneffekt, dass ich weniger Migräneanfälle habe.» So fuhr er im Sommer Velorennen und im Winter Skirennen, dazu kam natürlich noch seine Tätigkeit als Bauer. Das sei eine schöne Zeit gewesen. Auch heute – 5 Jahre nachdem er in die Rente ging – beherrschen die Sportarten immer noch sein Leben. So erklärt er lachend: «Ich fahre zu 30% Velo, zu 30% Ski. Weitere 30% verbringe ich damit Musik zu machen und 10% gehen für den Haushalt drauf.» Denn neben dem Sport engagiert er sich in der Stadtmusik Murten und 2 weiteren Musikgesellschaften. Das sei ein wunderbarer Ausgleich. 1980 wollte er gerne bei der Tour de Suisse mitfahren, doch es wurde ihm erklärt, dass sei ohne Profivertrag und Sponsor nicht möglich. Stattdessen nutzte er die Gelegenheit bei der Fernfahrt, die eigentlich von Zürich nach Moskau zu den Olympischen Spielen führen sollte, teilzunehmen. Da die Russen aber die Einreise verweigerten, fuhr der Tross stattdessen nach Athen. «In 13 Tagen 3000 Kilometer bei teilweise über 40 Grad, das war ein Erlebnis», erzählt der Hobbysportler. Heute steht neben dem Inferno-Rennen auch die Tour de Suisse Challenge jedes Jahr auf dem Plan. Dabei erhalten Amateure die Chance, 3 verkürzte Etappen der Profistrecke zu fahren. «Es ist nur zum Plausch, ich kann nicht mehr gewinnen, aber man hat die Gelegenheit in Gegenden zu kommen, die man sonst nicht sieht. Ich geniesse das», so der Vater von 2 Kindern. Auf die Frage, ob die Familie stolz auf ihn sei, meint er: «Ich mache es für mich. Es muss für mich stimmen.» Man müsse die Geschwindigkeit lieben, sonst könne man nicht schnell sein. Er gibt aber auch zu, dass das Alter einen vorsichtiger werden lässt: «Bis vor 5 Jahren bin ich einfach so schnell wie möglich abgefahren, da kannte ich nichts. Dann fing ich an, darüber nachzudenken, was passieren kann. Ich kann kein Weltmeister mehr werden, daher fahre ich vorsichtiger. Sowohl beim Ski- als auch beim Velofahren bremse ich nun eher mal beim Bergabfahren.» Trotzdem gilt es unter den Kollegen vom Inferno-Team, die alle jünger sind, immer noch: «Den Alten muss man schlagen.» Aber Jenni sagt, er gäbe sich nicht kampflos geschlagen. Schliesslich könne er von den meisten der Vater sein.
Fitness
Hansueli Jenni sagt: «Ich würde heute keinem Jungen raten, Rennen fahren. Früher gab es nicht so viele Verletzungen. Ich fahre auch lieber auf abgesperrten Pisten, wo Leute wissen, was sie tun. Wenn ich frei Skifahren gehe und viele Leute unterwegs sind, verkrampfe ich mich und die Oberschenkel schmerzen. Das ist beim Rennen nie der Fall.» Er selbst habe Glück gehabt und sich in all den Jahren nur einmal verletzt. Aber auch da fuhr er den 2. Lauf trotz Schienbeinbruchs noch. Um fit zu sein, trainiert er im Winter öfter bei Schneider Gesundheit in Flamatt: «Ich mache es aber nicht für die Kraft, sondern für die Gesundheit. Die Muskeln müssen vorhanden sein, der Rücken gestärkt werden und die Beweglichkeit sollte trainiert werden. Aber ich habe gemerkt, dass zu viel Krafttraining für Velo-Fahrer eher störend ist. Es ist einfacher, wenn man leichter ist. Aber das Wichtigste ist, fit zu sein.»
Das Büchlein
Vor 2 Jahren hatte er einen Traum: «Ich fahre zum 40. Mal das Inferno-Rennen, habe so viel erlebt und Fotos gemacht, das sollte ich aufschreiben.» Er erklärt, dass er bis zu seiner endgültigen Entscheidung manch schlaflose Nacht hatte. Danach fing er an, seine Geschichte aufzuschreiben. Alles per Hand, da er keine Geduld für das Zehnfingersystem habe. Mit Unterstützung seiner Freundin, Tochter und Freunden konnte er das Projekt «Büchlein» beenden. Entstanden ist ein kleines Buch mit 62 Seiten Text und vielen Bildern aus den letzten 40 Jahren. Der Titel «Der Virus namens Inferno» beschreibt die Leidenschaft von Jenni sehr treffend.