Die Schweiz gehört zu den Ländern mit der höchsten Velodichte. 3,9 Mio. Bikes verkehren hierzulande, jährlich werden damit 2,7 Mrd. Kilometer gefahren. Diese Zahl möchte der Bund bis in zehn Jahren verdoppelt sehen. Schon nur des Bevölkerungswachstums wegen sei dies unabdingbar. Velowege sollen sicherer, durchgängiger und häufiger von Autostrassen entflochten werden. Zudem wird angestrebt, die kombinierte Fortbewegung Velo und öV zu vereinfachen. «Wir wollen mit dem Velo die Schweiz ein bisschen besser machen», sagte Gastgeber Thomas Binggeli in seiner Begrüssung. Jedoch brauche das Fahrrad eine Stimme – diese sollte ihm an diesem Nachmittag gegeben werden: Zwanzig Referentinnen und Referenten gaben Themen rund ums Zweirad eine Plattform.
Angst vor «Fahrradgesicht»
«Das Velo war schon immer hochpolitisch», statierte Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider. Dank ihm war die breite Bevölkerung plötzlich zu günstigen Preisen mobil. Insbesondere Radfahrerinnen sorgten für rote Köpfe, erzählte die Magistratin: Ehemänner und Ärzte befürchteten krumme Rücken, in Schieflage geratenen häuslichen Frieden und ein unästhetisches «Fahrradgesicht». Doch bald gehörten die Strassen den Velos, bis diese ab dem 2. Weltkrieg zunehmend von den Autos verdrängt wurden. «Heute planen wir eine Wiederherstellung. Das Velo ist eine geniale Erfindung, die so viele Vorteile bringt», sagte sie. «Dafür würde man schon fast ein Fahrradgesicht in Kauf nehmen.»
Koexistenz statt Strassenkampf
Wem steht der öffentliche Raum zu? Die Berner Gemeinderätin Marieke Kruit und die Genfer Nationalrätin Delphine Klopfenstein Broggini sprachen über die Wichtigkeit der Infrastruktur. Gymnasium Neufeld-Rektor Matthias Küng brachte es auf den Punkt: «Ein Auto wiegt ab 3,5 t aufwärts und ist mit einem kleinen Gaspedal zu bedienen. Häufig wird ein Fahrrad aus dieser Lage heraus bloss als zu überholendes Objekt gesehen, nicht als ernstzunehmender Verkehrsteilnehmer.» Karin Mössenlechner ist niederländische Botschafterin und kann das Vorzeige-Veloland deshalb gut mit der Schweiz vergleichen. Es habe sich hier schon viel verbessert, lobte sie. In ihrer Heimat sei die friedliche Koexistenz anstatt Strassenkämpfen oberste Maxime, und tatsächlich habe es mehr Velowege als Autostrassen. Dies sei nicht immer so gewesen und auch dem beherzten Eingreifen der Politik zu verdanken.
Das Unmögliche lösen
«Es gibt noch viele Ideen, die noch niemand erfunden hat.» Der ehemalige NASA-Wissenschaftsdirektor und heutige ETH-Professor sprach sich klar für das Velo aus. Allerdings gäbe es noch viel Luft nach oben. Wie wäre es, wenn Informationen über Baustellen und Verkehr den Radfahrenden in Echtzeit zur Verfügung stünden? Oder wenn jedes Velo dank der passenden Technologie von jedem Auto wahrgenommen würde, längst bevor die Autofahrenden es sehen? «Das Velo von morgen ist eine umwelterhaltende Plattform, die uns bewegt. Mit einer Technologie, die uns sicherer macht.» Das Ziel der bis 2035 verdoppelten Velokilometer sei gross und keine Einheit könne es allein lösen. Doch: «Meist braucht es keine spektakuläre Lösung, sondern konstante Verbesserung. Konsistenz gewinnt über Sprint.» Am wichtigsten jedoch sei es, dass die Jugendlichen Hoffnung haben. «Nur Leute mit Hoffnung verändern die Zukunft. Sie sehen Schwierigkeiten und sagen: ‹Es ist es wert, angepackt zu werden›.» Sein Tipp für Lehrpersonen und Ausbildner: «Gib den Jungen Zeit, das Unmögliche zu lösen, aber sag ihnen nicht, dass es unmöglich ist.»
Jahrhundert-Comeback
Weitere Redende richteten den Fokus auf die noch zu wenig vertretenen Frauen im Radsport oder in der Industrie. Das merke man etwa an der Alltagstauglichkeit der Zweiräder oder an Sicherheitsaspekten. Beat Zaugg, langjähriger Scott-CEO und -Mitinhaber, erklärte die komplexen Zusammenhänge in der Entwicklung, Herstellung und Lieferkette. Stromer-Co-CEO Tomi Viiala lobte die schnellen E-Bikes, die Speed-Pedelec, als «das neue Auto». Sie sorgten für Gratis-Wellness, man komme pünktlich und ohne Parkplatzstress an. Wer einmal auf einem S-Pedelec gesessen habe, wolle nicht mehr zurück. Sie seien die einzige nachhaltige Alternative für Pendlerstrecken zwischen 8 und 30 km. Auch Batterie-Recycling, Gesundheitsaspekte oder touristische Fragen wurden besprochen. Immer mit dem Credo: Die Velowende ist möglich. Elisabeth Baume-Schneider klang beinahe kämpferisch, als sie zum Schluss ihrer Rede sagte: «Das Comeback des Velos wird gelingen, und es wird ein Jahrhundert-Comeback sein. On y arrivera.»