«Am Sonntag war ich, Leo, durch den heimischen Klee auf einer Wiese in unserem Dorf gegangen, und am Mittwoch darauf reise ich mit einem Koffer in ein fremdes Land. Es war der erste November 1967, der Tag der Allerheiligen.» Mit diesen Worten und unter der einleitenden Feststellung «Die Faszination am Wahren ist die Wahrhaftigkeit des Unwahren», beginnt Urs Berner sein neues Werk.
Teil seines eigenen Lebens
Nehmen wir es vorweg: Die Geschichte rund um Leo (siehe Kästchen) hat Urs Berner erlebt. Er selber ist am 1. November 1967 nach Montpellier, anschliessend nach Spanien und Marokko gereist. Spannend an der Geschichte ist, dass Leo Schriftsteller werden will, wie es der Autor geworden ist.
Mit anderen Worten: «Die zweite Erschütterung» ist auch deshalb ein bemerkenswertes Buch, weil Urs Berner zwar die Figuren des Romans erfunden hat, nicht so aber die eigentliche Handlung. «Für mich sind die ersten Sätze eines Buches enorm wichtig, sie sind ausschlaggebend, ob die Lesenden Lust haben, den Figuren weiter zu folgen», sagt Urs Berner. Also ähnlich – und doch so verschieden – wie in einem Krimi, wo auf den ersten Seiten Entscheidendes passieren muss.
Figuren erwachen zum Leben
Kennt er seine Protagonisten, wenn er sich an eine neue Geschichte heranmacht? «Selbstverständlich», schmunzelt Urs Berner, «ich weiss, wie sie ti-cken.» Aber nicht nur das: Wenn er sich zum Schreiben zurückzieht, und das täglich (!), sieht er seine Darsteller vor dem geistigen Auge, hört sie reden, weiss zum Beispiel, welchen Weg Leo zum Bahnhof nimmt, was sich in seinem Koffer befindet. «Es ist schon vorgekommen, dass mich Figuren im Traum um Rat gefragt haben, was sie tun sollen, um aus einer verzwickten Situation herauszukommen.» Was dann? Steht Urs Berner auf und schreibt sich das Geträumte auf einen Zettel? Seine Antwort ist sehr kurz: «Ja.»
Wie Friedrich Dürrenmatt
Abgebildet ist auf dieser Seite auch der Auszug eines Manuskripts zum neuen Roman. Und hier haben offenbar alle Schriftsteller und Buchautoren eine Gemeinsamkeit: Sie lesen das Geschriebene auf Papier, so auch Urs Berner, der zuerst von Hand schreibt. Erst später tippt er es in den PC ein. Das war bei Friedrich Dürrenmatt ähnlich, der mit einer Schreibmaschine arbeitete, um auf dem Papier handschriftliche Korrekturen anzubringen, wie im unvollendeten Roman «Der Pensionierte» eindrücklich zu verfolgen ist.
Abschliessende Frage dieses viel zu kurzen Berichts, der dem Schaffen des Urs Berner in keiner Weise gerecht werden kann: Kann man Schreiben lernen? Urs Berner gibt sich diplomatisch: «Ich denke, dass vieles daran Begabung ist.»