Wir denken, dass wir unseren Körper mit unserem Geist kontrollieren können. Wir wissen doch, wie viel wir wann auf unseren Teller packen, um es dann gesittet zu uns zu nehmen, oder? Die Realität sieht jedoch ganz anders aus und dies nicht, weil Sie keine Willenskraft haben. Verantwortlich dafür ist ein mächtiger Teil unseres Gehirns, das sogenannte limbische System. Dieses Gehirnareal steuert Triebe, Wünsche und Emotionen. Ungefähr 80% des menschlichen Essverhaltens wird von dieser Region des Gehirns dirigiert und die Vernunft bleibt aussen vor. «Das limbische System zählt zum ältesten Teil des Gehirns; es ist seit der Entstehung der Menschheit vorhanden. Man kann es auch als Säugerhirn bezeichnen, da es sich seit seiner Entwicklung vor zwei- bis dreihundert Millionen Jahren bei den Säugetieren am besten ausgebildet hat. Hauptaufgaben des limbischen Systems sind beim Menschen vor allem die Abspeicherung von Erinnerungen und der dazugehörigen Emotionen sowie die homöostatische Steuerung von Blutzuckerspiegel, Körpertemperatur und Blutdruck», schrieben Ornstein und Thompson.
Wie agiert das limbische System?
Diese Steuerungszentrale funktioniert mit Belohnung. Wird sie belohnt, bleibt sie still, liegen Bedürfnisse vor, kommuniziert sie diese so lange, bis die ungestillten Bedürfnisse kompensiert sind. Gehen Sie also an einer Bäckerei mit frisch gebackenen Brötchen und anderen Leckereien vorbei, verlangt das limbische System, dass Sie reingehen und sich die duftenden Croissants holen. Egal, ob Sie hungrig sind oder nicht, beginnt Ihr Magen zu knurren und das Wasser läuft Ihnen im Mund zusammen. Warum verspüren wir denn diese Signale unseres Körpers auch dann, wenn wir nicht wirklich hungrig sind? Das limbische System macht keinen grossen Unterschied, welche Form der Erfüllung gewählt wird, solange ungestillte Bedürfnisse vorliegen. Es will aber eine möglichst schnelle Kompensation und da ist Essen meist die schnellste verfügbare Art, um sich zu belohnen. Nehmen wir also an, dass wir eigentlich nach körperlicher Nähe suchen oder nach einem tiefgründigen Gespräch, ist das schlicht nicht immer ganz so simpel. Essen ist im Gegensatz zu anderen Personen, die uns nahestehen, fast immer verfügbar.
Vernunftlos?
Die Vernunft wird ebenfalls vom limbischen System beeinflusst und ausgetrickst. Sie kommt kurz an die Oberfläche, wird dann aber meist direkt wieder überwältigt. Zurück beim Bäcker sieht das beispielsweise so aus: Sie stehen vor dem Gebäude, riechen den leckeren Duft und denken flüchtig, dass Sie doch gerade erst gefrühstückt haben. Sie hadern kurz, doch es meldet sich schlagartig eine Stimme im Kopf zu Wort – ihr unbewusstes Bedürfnis.«Heute hast du dir das Croissant mit der leckeren Schokolade drin doch wirklich verdient! Gestern warst du beim Sport und heute wird bestimmt wieder ein stressiger Tag auf der Arbeit. Die letzten Tage war der Chef bereits so streng zu dir, das wird heute nicht besser.» Vielleicht hören Sie sich auch innerlich etwas Vernünftiges zusammenreimen, wie etwa: «Du kannst dir jetzt ja das Crois-
sant gönnen und dafür weniger zu Mittag essen.» Bis zum Mittag sind dann diese guten Vorsätze jedoch bei den meisten schon wieder in Vergessenheit geraten.
Warum können andere am Bäcker vorbeigehen?
Dafür gibt es zwei Erklärungen. Die eine ist, dass jeder über ein individuelles Belohnungssystem verfügt. Was für Sie die grösste Belohnung ist, muss für Ihren Nachbarn nicht unbedingt attraktiv sein bzw. kann sogar abstossend wirken. Das hat damit zu tun, dass unser Gehirn lernt. Was bereits viele Male unsere Bedürfnisse schnell und einfach kompensiert hat, werden wir wiederholen wollen. Vielfach erlernen wir diese Belohnungsmechanismen bereits in der Kindheit. Was damals zügig verfügbar war und uns glücklich gemacht hat, werden wir wohl auch als Erwachsene verlangen.
Zum anderen ist es aber auch möglich, dass Sie bereits die Mehrheit Ihrer Bedürfnisse gestillt haben. Sie sind nicht gestresst, haben genügend geschlafen, gegessen, körperliche Nähe und Zuneigung erhalten, sich bewegt und so weiter. Je mehr Sie Ihre Grundbedürfnisse gestillt haben und je entspannter Sie sind, umso weniger verlangt das limbische System nach Belohnung und Kompensation. Ist das nicht äusserst schwierig? Ja, das ist nicht ganz simpel, es ist aber der einzige Weg, dass Sie weniger von Trieben gesteuert durch das Leben gehen. Probieren Sie das nächste Mal, wenn Sie in einer solchen Situation sind, kurz innezuhalten. Fragen Sie sich, was hinter den Gelüsten wirklich steckt und was Ihr Körper tatsächlich ausgleichen will. Versuchen Sie jeden Tag ein Stück weiter mit Ihrem Körper in den Dialog zu treten und ihn zu fragen, was er wirklich braucht anstelle des Croissants, der Pizza, der Cola und co. Das kann zu Beginn komplex klingen, je mehr Sie dies jedoch machen, umso einfacher wird es. Sie werden sich dadurch nachhaltig besser verstehen und sich besser fühlen. Es lohnt sich.