Beat Ammann, stinkt es Ihnen nicht, zur Arbeit zu gehen?
Nein, das stinkt mir eigentlich nicht. Seit 15 Jahren komme ich gerne zur Arbeit. Die Abwasserreinigung ist wie das Wetter: jeden Tag anders. Es war und ist deshalb eine spannende und dynamische Zeit, die ich hier verbringe. Und dies mit einem ausgesprochen guten Team.
Und doch geht es in Ihrem Tätigkeitsfeld vor allem um mensch-
liche Ausscheidungen…
Ja, in erster Linie sollten im Abwasser ausschliesslich menschliche Ausscheidungen sein. Dem ist leider aber nicht so.
Wie gehen Sie damit um, wenn Menschen wegen Ihres Berufes die Nase rümpfen?
Ich kann mich da sehr gut abgrenzen. Ausscheidungen sind wie die Sonnenenergie, jedenfalls die Stoffe, die wir uns zuführen sind dank der Sonne entstanden. Und für uns sind diese wiederum Energie. Was der menschliche Körper schliesslich nicht verwenden kann und ausscheidet, wird bei uns in der «arabern» wieder in neue Energieformen umgewandelt.
Sie sind Chef von einer der grössten und modernsten Abwasserreinigungsanlagen in der Schweiz. Was zeichnet die ara region bern ag besonders aus?
Wir sind eine sehr innovative
Unternehmung und erweitern unser Geschäftsfeld stetig. Das ist einerseits dank unserer Organisationsform mit einem dynamischen Verwaltungsrat, andererseits aber auch der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wegen möglich. Wir reinigen nicht nur Abwasser, sondern betreiben eine eigentliche Siedlungshygiene. Zudem sind wir auf dem neusten Stand der Technik und werden in der in- wie auch ausländischen Abwasserbranche als modernes Unternehmen wahrgenommen. Nicht vergessen werden dürfen zudem unsere intelligenten Querverbundslösungen, unter anderem mit «Energie Wasser Bern».
Mit was?
Wir produzieren beispielsweise Biogas beziehungsweise Biome-
than oder bieten Abwasserwärme an, die aktuell für 250 Haushalte in Bremgarten eingesetzt wird. Damit können rund 600’000 Liter Erdöl eingespart und ca. 1300 Tonnen CO2 vermieden werden.
Abwasser ist nicht gleich Abwasser, stimmt das?
Ja, das ist so. Der Faktor Wetter spielt dabei eine ebenso wichtige Rolle wie der Mensch. Nasses oder trockenes Wetter, hohe oder tiefe Temperaturen, Werktage oder Wochenenden: all diese Faktoren haben Einfluss auf die Zusammensetzung und die Menge des Abwassers. Man stelle sich vor: An Wochenenden sind rund 100’000 Personen weniger im Einzugsgebiet der «arabern» als an Werktagen.
Welche besonderen Stoffe finden Sie eigentlich im Abwasser?
Da gibt es viele. Neben festen Ausscheidungen, der eigentlichen Biomasse, natürlich Urin. Letzterer hat alle Inhaltsstoffe des täglichen Lebens. Dazu gehören ebenso Hormone oder Medikamentenrückstände. Das ist allerdings nicht alles. Obwohl die Kanalisation nach Gesetz keine Abfallentsorgung ist, sind wir Menschen sehr innovativ, was wir dem Abwasser alles zuführen. Dazu gehört leider auch normaler Abfall wie beispielsweise Katzenstreu, Essensreste, Kondome, Plastiksäcke, Kleider bzw. Textilien oder sogar Tiere. Für Amphibien haben wir denn auch extra Rettungsinseln aufgestellt. Sofern wir die Tiere nach ihrem Exodus durch die Kanalisation lebend bergen können, finden sie in unserem Biotop ein neues Zuhause.
Und welche Stoffe bereiten Ihnen besonders Sorgen?
Da gibt es einige. Natürlich gehören die unerwünschten Abfälle dazu. Sorgen bereiten uns die heute vielerorts eingesetzten Feuchttücher oder auch Reinigungstücher. Diese zersetzen sich nicht wie Toilettenpapier und können sich deshalb um Pumpenräder wickeln und diese kaputt machen. Und dann sind da auch noch die Essensreste. Diese gehören einfach nicht die Toilette runtergespült. Denn Lebensmittel locken ungebetene Gäste in die Kanalisation – Ratten und Kakerlaken. Diese Tiere führen nicht nur zu unangenehmen Zusammentreffen für die Mitarbeitenden des Kanalnetzdienstes, die in der Kanalisation arbeiten. Ratten wie Kakerlaken finden nämlich früher oder später auch einen Weg von der Kanalisation in ein Haus oder in eine Wohnung… Immerhin verzeichnen wir bei den Schwermetallen einen massiven Rückgang. In diesem Bereich müssen wir darauf achten, dass die Werte nicht wieder zunehmen.
Schwermetalle?
Ja, Quecksilber oder Kupfer. Das Quecksilber nahm vor Jahren dramatisch ab, nachdem Zahnarztpraxen das Mundspülwasser in einem Behälter zu filtern begannen, statt es einfach in den Abfluss zu leiten. Das Kupfer dagegen stammt meist von Dachrinnen, deren aufgefangenes Wasser in die Kanalisation gelangt.
Können Sie sagen, woher die Stoffe stammen?
In den meisten Fällen können wir das relativ gut, ja. Gerade bei Unternehmen. Jedes erhält ja eine Betriebsbewilligung, in der auch die verwendeten Stoffe aufgeführt sind. Und alle zwei Jahre untersuchen wir die Silhaut in den Kanalisationsleitungen. Es handelt sich dabei um eine schleimige, rötliche Ablagerung. Von dieser nehmen wir Abstriche und untersuchen, welche Stoffe darin enthalten sind. Seit wir dies machen, können wir bei unsachgemässer Entsorgung von Stoffen den Verursacher eruieren. Das kann für den Betreffenden zu einer Busse oder gar Anzeige führen.
Sie könnten also bis zum Hausanschluss genau bestimmen, wo welche Stoffe die Toilette heruntergespült worden sind?
Beim Gewerbe und der Industrie auf jeden Fall. Bei den Haushalten ist es nicht ganz so. Das ist eine Frage der Mengen und damit auch, wie stark eine Substanz in der Kanalisation verdünnt wird.
Es gibt immer mehr Abwasser – gehen wir Menschen ein wenig sorglos mit dem Wasser um?
Nein, das glaube ich nicht. In der Schweiz sind wir uns heute sehr wohl bewusst, wie wichtig Wasser ist. Früher verbrauchten wir 250 bis 300 Liter pro Person und Tag. Heute sind es noch rund 150 Liter. Diese Fakten belegen, dass wir das entsprechende Bewusstsein haben. Was uns vielleicht fehlt, ist ein wenig mehr Demut.
Was kann man besser machen?
Ganz einfach: Stoffe, die nicht ins Abwasser gehören, sollen auch nicht die Toilette runtergespült werden.
Die «arabern» stösst an ihre Kapazitätsgrenzen. Was heisst das?
Die Bevölkerungsentwicklung in den Zentren mit ihren Agglomerationen nimmt ständig zu. Und unser wichtigster Reinigungsprozess, die Kapazität der Biologiestufe, ist heute ausgeschöpft. In der Biologie sind hochspezialisierte, aber primitive Einzeller am Werk. Sie bauen die Nährstoffe im Abwasser ab resp. um. Wir können eine Biologieerweiterung auf unserem Gelände realisieren, allerdings stossen wir hier an unsere baurechtlichen Vorgaben. Seitens der Baubewilligungsbehörden wurde immer wieder darauf gedrängt, mittels eines Masterplans aufzuzeigen, wie sich die «ara region bern ag» in Zukunft entwickeln soll. Allerdings ist dies für einen längeren Zeithorizont schwierig, da wir nicht wissen, mit welchen gesetzlichen Vorgaben wir in der Zukunft konfrontiert werden.
Ist dafür die Überbauungsordnung nötig, über welche die Bernerinnen und Berner diesen Mai abstimmen?
Ja. Es geht vordergründig um die neue Reinigungsstufe zur Elimination von Spurenstoffen und der Erweiterung der Biologie. Wir wollen mit der Überbauungsordnung aber vor allem die Rechtssicherheit erlangen, damit wir in Zukunft unsere Anlagen bei Bedarf erweitern oder neue Anlagen bauen können. Die Treiber für den Ausbau und die Erweiterungen der Abwasseranlagen sind meistens neue oder verschärfte Verordnungen und Gesetze.
Und was geschieht, wenn die Berner die Vorlage verwerfen?
Dann haben wir ein grosses planerisches Problem. Die Biologie können wir zwar wie gesagt erweitern. Aber für alle künftigen Vorhaben benötigen wir Sondergenehmigungen, die für die Bewilligungsverfahren sehr aufwendig sind und zu kostspieligen Verzögerungen führen können. Wir wollen aber unsere Anlage auch in Zukunft mit grösstmöglicher Sicherheit gesetzeskonform betreiben können. Deshalb braucht es diese Überbauungsordnung beziehungsweise die entsprechende Umzonung.
Wie sieht der Zeitplan für dieses Projekt aus?
Bis 2025 sollte die Erweiterung der Biologie betriebsbereit sein, die Reinigungsstufe zur Elimination von Spurenstoffen sollte 2020 realisiert sein.
Und in der Zwischenzeit?
Verschaffen wir uns mit einer kleineren, für Industrieabwasser spezialisierte Hochleistungsbiologie etwas Luft. Die Hochlastbiologie wird mit speziellen Mikroorganismen betrieben. Damit entlasten wir unsere normale Biologieanlage wesentlich und können mit der Erweiterung derjenigen noch zuwarten.
Was wünschen Sie sich für das noch junge Jahr?
Etwas mehr Pragmatismus seitens der Behörden. Vor allem vermehrt eine gesamtheitliche Betrachtung der Dinge. Denn bei uns reden wegen der geltenden Gesetze immer mehr Bundes- und Kantonsstellen mit. Dort arbeiten zwar alles hochintelligente Menschen, aber sie haben den Fokus meist auf ihrem Tätigkeitsgebiet. Ein Beispiel: Wir sollen bis 2026 den Phosphor, welcher im Klärschlamm enthalten ist, rezyklieren. Allerdings weiss heute noch kein Mensch, wie wir das grossindustriell genau anstellen sollen. Es gibt da ganz viele Unwägbarkeiten, deren Folgen nicht absehbar sind. Gerade solche unrealistischen Vorgaben machen für uns die Arbeit nicht einfacher. Und das bedaure ich.