Schätze aus der Grabhöhle

Schätze aus der Grabhöhle

Während der letzten Jahre wurden in der Abegg-Stiftung in Riggisberg textile Grabfunde aus dem Libanon restauriert. Die aufbereiteten Leichentücher und Grabgewänder aus dem 13. Jahrhundert geben Einblick in das Leben und Wirken der Menschen von damals.

In der etwas abgetrennten Ecke des Ausstellungsraums herrschen dezentes Dämmerlicht und gelassene Stille. Uralte Kleidungsstücke und Tücher warten auf all die Blicke, die über ihre Stickereien, Flecken, Risse und Flicken huschen werden. Die in Vitrinen ausgestellten Textilien scheinen zeitlos. Rund 700 Jahre ruhten die Gewänder zusammen mit ihren Besitzerinnen und einigen Grabbeigaben in einer schwer zugänglichen und deshalb unentdeckten Höhle im Norden des Libanons. Nun sind die altehrwürdigen Fundstücke in der aktuellen Sonderausstellung der Abegg-Stiftung zu sehen. Doch wer die Exponate auf ihre Funktion als Leichentücher und Grabgewänder reduziert, wird ihnen nicht gerecht. Wer aufmerksam hinhört und -sieht, dem erzählen die Textilien mehr Geschichten über das Leben der Menschen damals als über deren Sterben.

Alltag im Berginnern

Vielleicht zeigt sich den Besuchenden der Norden des Libanons, vielleicht auch steile, zerklüftete Felsformationen, karge Vegetation oder blauer Himmel. Auf einer Höhe von 1300 Metern liegt versteckt der Eingang zur Höhle Assi El-Hadath. Mit ihrer Lage bot sie im ausgehenden 13. Jahrhundert einer verfolgten christlichen Gemeinschaft Zuflucht und ein neues Zuhause. Die maronitische Bevölkerung, zu welcher diese Menschen gehörten, hatte sich dem Schutz der herrschenden Kreuzritter unterstellt. Als sich die Machtverhältnisse verschoben und die Kreuzritter aus dem Nahen Osten zurückgedrängt wurden, übernahmen die Mamluken die Herrschaft – und die Verfolgung der ehemals Verbündeten begann. Vom Dasein und dem Alltag der Maroniten im Berginnern zeugen heute noch ein gemauertes Wasserbecken und ein steinerner Mahltrog. In der sicheren Höhle lebten, liebten und starben die Geflüchteten. Fünf Erwachsene und sechs Kinder wurden in vollständiger Kleidung und in Tücher gewickelt im hintersten Teil der Höhle von ihrer Gemeinschaft bestattet. Die gut erhaltenen Gräber zählen zu den bedeutendsten Funden, die aus der Epoche der Kreuzfahrer im Libanon erhalten geblieben sind. Für die Wissenschaft besonders wertvoll sind die erstaunlich gut erhaltenen Textilien.

Via Beirut nach Riggisberg

Damit die Stoffe auch ausserhalb der Fundort-Bedingungen möglichst intakt bleiben, wurden sie in der Abegg-Stiftung sorgfältig aufbereitet. Bereits 2017 vertraute die libanesische Generaldirektion für Altertümer der Stiftung einen Grossteil der textilen Fundstücke zur Restaurierung an. In Riggisberg, rund 2700 Kilometer von ihrem ursprünglichen Fundort entfernt, wurden sie erstens auf ihren Zustand, das Material und die Technik untersucht und die Befunde dokumentiert. Zweitens wurde für jedes Fundstück die passende Behandlung gewählt. Mit Fingerspitzengefühl mussten etwa fragile Bereiche mit Stützgewebe stabilisiert oder individuelle Unterkonstruktionen geschaffen werden. Die Sonderausstellung bildet den Abschluss dieser Arbeiten. Verständlich werden die einzelnen Stücke erklärt, kurze Anschauungsvideos machen sichtbar, was es mit Techniken und Schnittmustern alles auf sich haben kann. Nach Ausstellungs-Abschluss reisen Gewänder und Tücher wieder in den Libanon.

Upcycling in Perfektion

Im Libanon des 13. Jahrhunderts waren Textilien ein wertvolles Gut. Und weder in Europa noch in Nahost gehörte diese Zeit zu den fortschrittlichsten. In Sachen Aufwertung von Textilien waren uns die Menschen damals allerdings um Längen voraus. Die gut erhaltenen Tuniken für Kinder und erwachsene Frauen, Kopfbedeckungen, Leichentücher – sie alle zeugen davon, dass kein noch so kleines Stückchen Stoff vergeudet oder achtlos weggeworfen wurde. Es wurde geflickt, geändert, neu verwendet und aufbereitet. Leichentücher wurden aus alten Tuniken zusammengesetzt. Und auch die Stoffe, aus welchen die Kleider sind, hatten davor oft einen anderen Zweck. Derart konsequent gelebtes Re- und Upcycling dürfte so manchen ressourcenbewussten und konsumkritischen Hipster heute vor Neid erblassen lassen. Auch darüber hinaus verraten etwa Materialien und Verarbeitung, Stickereien und Färbung etwas über die damalige Kleiderkultur.

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