Rund 1,3 Mio. Schweine leben in der Schweiz in Landwirtschaftsbetrieben, in den Wäldern und Feldern streifen ihre Artgenossen, die Wildschweine, umher. Dass unter ihnen Krankheiten zirkulieren, gehört dazu und ist soweit nichts Ungewöhnliches. Nun nähert sich jedoch ein Erreger der Schweiz, der mit einer fast hundertprozentigen Mortalitätsrate eine Bedrohung der ernsteren Art darstellt: Die afrikanische Schweinepest ASP breitet sich seit mehreren Jahren in Europa aus. Die hochansteckende Tierseuche ist für den Menschen nicht gefährlich und ist eine virale Krankheit.
Hunderte Ausschlussproben
«Ursprünglich zirkulierte das Virus unter den afrikanischen Pinselohrschweinen sowie Warzenschweinen – und die werden gar nicht so krank davon», weiss Karin Darpel. Die Veterinärin ist Gruppenleiterin in der Diagnostikabteilung und verantwortlich für «Hochansteckende Tierseuchen» am Eidgenössischen Institut für Virologie und Immunologie IVI. Im Arbeitsalltag untersucht das Diagnostikteam fast täglich Proben auf das ASP-Virus, denn das IVI ist Nationales Referenzlabor für die Krankheit. Das bedeutet, dass Proben von allen verdächtigen Fällen in der Schweiz in den Hochsicherheitslaboren in Mittelhäusern landen. «Bei Hausschweinen reicht ein amtlicher Verdacht, um den ganzen Betrieb zu sperren», erklärt Darpel die Situation. Tierärzte haben die Möglichkeit, eine sogenannte Ausschlussuntersuchung auf ASP anzuordnen, wenn eine Infektion eher unwahrscheinlich ist – ganz im Sinn der äusserst wichtigen Früherkennung. Mehrere solche Blut- oder Organproben treffen pro Woche am IVI ein. Hinzu kommen jährlich bis zu 400 Tupferproben von tot oder krank aufgefundenen Wildschweinen. «Das Virus ist extrem beständig in der Umwelt», weiss die Expertin, «im Kadaver eines befallenen Tieres kann es sich mehrere Monate halten.»
Gefahr durch Reisende
Selbst in Schweinefleischprodukten wie Rohschinken bleiben die Erreger intakt und gefährlich. So gab es zum Beispiel im vergangenen Sommer in der Nähe einer Autobahn in Nordrhein-Westfalen einen bemerkenswerten Ausbruch unter Wildschweinen: Das Virus war näher mit jenen von süditalienischen Fällen verwandt als mit allen anderen in Deutschland. Obwohl der Einschleppungsweg noch unbekannt ist, kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine aus einem infizierten Gebiet kommende Person einen Sandwichrest mit kontaminiertem Fleisch in der Natur entsorgt hat – und ein Wildschwein diesen aufräumte. Falls ein solcher Fall 500 km weiter südlich stattgefunden hätte, wäre das Virus auf Schweizer Boden gefallen. «Für die Schweiz ist das Risiko einer Einschleppung der ASP durch menschliche Aktivitäten hoch», schreibt denn auch das Bundesamt für Landwirtschaft und Veterinärwesen BLV in seinem Radar-Bulletin von Mitte September. «Es wird eindringlich vor dem Mitbringen von Schweine- oder Wildschweinefleisch aus betroffenen Gebieten abgeraten.» Wildschweine besuchen gern Schweinebetriebe – manchmal finden sie dort Futter – viele Ansteckungen werden wohl durch die frei lebenden Artgenossen in die Ställe gebracht. Bei einem einzigen positiven Fall von ASP muss der gesamte Schweinebestand eines Betriebes gekeult werden. Vorsicht ist also angebracht.
Komplexe Impfstoffentwicklung
Gibt es denn keine Impfung? «Aktuell impft weltweit nur Vietnam gegen die Afrikanische Schweinepest», sagt Artur Summerfield. Er ist Professor für Veterinärimmunologie und Leiter der Immunologie am IVI und somit im Forschungsbereich tätig. «Aktuell arbeiten wir im Rahmen eines EU-Projekts daran, für einen der in Vietnam verwendeten Impfstoffe auch in Europa die Zulassung zu erlangen», erzählt er. Im Labor sei der Lebendimpfstoff gut wirksam und gut verträglich. Allerdings stellen sich ausserhalb der Labore, im Feld, noch zu klärende Fragen. Summerfield erklärt: «Wird ein infiziertes Tier geimpft oder steckt sich ein frisch geimpftes Tier noch an, könnten sich die Feld- und Impfvirenstämme vermischen und neue Varianten entstehen, welche die Bekämpfung erschweren.» Auch deshalb arbeiten die IVI-Forschenden an eigenen Impfstoffkandidaten. «Trotz Sicherheitsbedenken kann auch ein nicht perfekter Impfstoff ein hilfreiches Puzzleteil sein im Bestreben danach, die Seuche in den Griff zu bekommen, etwa bei Ringimpfungen rund um einen Ausbruchsherd.» Der aktuelle Ausbruch begann 2007 in Georgien und breitete sich von dort immer weiter westlich aus. «Er ist wesentlich aggressiver als derjenige ab den 1960er-Jahren», betont der Immunologe. Am IVI forschte man schon damals an der Seuche und trägt auch jetzt zur wichtigen Grundlagenforschung bei. Im Unterschied zu Coronaviren haben die ASP-Viren rund zehnmal so viele Gene, was ihre Erforschung umso komplexer macht.
Während am IVI weiter geforscht und getestet wird und Wildhüter sowie Tierärztinnen aufmerksam auf mögliche Fälle achten, kennen Wildschweine keine Ländergrenzen und Reisende werfen weiterhin Essensreste aus dem Fenster. Ist ein erster positiver Schweizer Fall nur eine Frage der Zeit? «Das Risiko ist so hoch, dass die Frage nicht ‹ob›, sondern ‹wann› lautet», bestätigt Karin Darpel und betont: «Auch wenn die Schweiz weiterhin verschont bleiben könnte – es gilt, gut vorbereitet zu sein.»