Während meiner Berufszeit habe ich viele Kunstschaffende kennengelernt. Und dabei mit einem aufgeräumt, nämlich mit dem vorschnellen Urteil über ein Gemälde oder über eine Plastik. Entscheidend ist nämlich nicht, ob ein Werk gefällt oder nicht – über Geschmack lässt sich bekanntlich (nicht) streiten –, sondern was der Künstler vermitteln will. «Was sich zwischen meinem Werk und Ihrer Wahrnehmung abspielt, das ist Teil meiner Absicht», hat mir 1988 ein bekannter zeitgenössischer Maler gesagt. Seine Worte habe ich nie mehr vergessen.
Sich einlassen oder ablehnen?
Um zeitgenössische Kunst zu verstehen, ist es unerlässlich, mit der Künstlerin oder dem Künstler zu reden. Weshalb ein bestimmtes Werk? Aus welcher Motivation, aus welcher Gefühlswelt heraus? Mit welchem Ziel? Jede Wette: Ihnen werden, symbolisch gesagt, die Augen aufgehen. Und ja, selbstverständlich liegt es zum Schluss an Ihnen, sich auf ein Werk einzulassen oder es abzulehnen. Diese Herausforderung stellte sich mir beim Besuch im Atelier von Schwarz Gänsehaut nicht. Ich mag seine Art, Gefühle auszudrücken.
Seit 30 Jahren ist er für mich ein «junger Wilder», wie MS Bastian oder die Luginbühl-Brüder, obwohl alle nicht mehr ganz jung sind – aber wild geblieben. (Zwischenbemerkung: Wenn Sie mal in der Nähe sind: Schauen Sie sich im «Bierhübeli» an, was MS Bastian zusammen mit seiner Partnerin Isabelle L. erst letzten Monat aus der Bar und dem Restaurant gemacht hat. Fantastisch.)
Es ist aussichtslos, Schwarz Gänsehaut in ein Schema pressen zu wollen. Geht nicht. Auch lassen sich bei ihm keine Vorbilder ausmachen, nichts erinnert bei seinen Kunstwerken an andere Künstlerinnen und Künstler. Schwarz Gänsehaut ist ein Unikat. Einmalig und einzigartig.
Die Mutter aller kleinen Fische
Im ersten Stock der Liegenschaft – seinem Atelier – überragt ein Bild alle anderen. «Die Mutter aller kleinen Fische» ist zum Zeitpunkt meines Besuchs am Entstehen. Nein, eigentlich schon fast fertig, 440 cm lang, 150 cm hoch. Es ist eine Komposition aus Holzdruck, Öl, Acryl, Farbstiften, Kohle, Pigmenten und soll das Gefälle auf dieser Welt symbolisieren. «98% aller Menschen auf der Welt sind heute kleine Fische, bei denen ein riesiger Fisch rumschwimmt und sie drangsaliert», sagt der 54-Jährige. Und: «Jede Art von Kunst ist immer auch eine gesellschaftspolitische Aussage.»
Schwarz Gänsehaut ist immer seinen eigenen Weg gegangen, auch bei der Vermarktung seiner Bilder. Beim Ausdruck «Vermarktung» wird er nachdenklich. «Heute geht es bei der Kunstvermarktung in den meisten Fällen nur noch um Geld. Es ist doch verrückt, welche Beträge man zu zahlen bereit ist, obwohl man den Künstler nicht einmal kennt.» Gerhard Richter hat bei einer Vernissage in der «Fondation Beyeler» die beiden treffenden Ausdrücke dazu ausgesprochen, selbst bei seinen eigenen Bildern, die weltweit gehandelt werden: «Pervers und unerträglich.» Es ist das Resultat dessen, wenn heute selbst bei gewissen Künstlern Crowdfunding weit vor sozialer Kompetenz steht. Bei Schwarz Gänsehaut ist es genau umgekehrt.
Ihnen, liebe Lesende, kann ich nur einen Tipp geben. Tauchen Sie in die Welt des Schwarz Gänsehaut, lassen Sie sich auf seine Werke ein. Den Besuch im Atelier werden Sie so schnell nämlich nicht vergessen.