«Da formte Gott den Menschen aus Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase den Lebens-
atem und der Mensch wurde zum lebendigen Wesen. (…) Dann baute er aus der Rippe, die er vom Menschen genommen hatte eine Frau (…).» So etwa beschreibt das 1. Buch Mose die Erschaffung des Menschen. Dass dieses die Menschwerdung wohl etwas allzu verkürzt und vereinfacht darstellt, wusste Walter C. Joyce, gestützt auf neuste wissenschaftliche Erkenntnisse, anschaulich zu belegen. Vor allem die Damen waren erleichtert zu hören, dass das weibliche Wesen nicht aus einer Rippe Adams geformt wurde. Auch dass der Mensch nicht direkt vom Affen abstammt, wirkte auf alle beruhigend.
Zusammengefasst und teilweise auch etwas vereinfacht die Facts, wie sie der Freiburger Professor präsentierte: Der Mensch ist nicht einfach so aus dem Nichts als fixfertiges Wesen entstanden. Er hat eine sehr lange Entwicklungsgeschichte hinter sich. Dies belegen fossile Funde, deren Alter mittels Radiokarbon- und Aluminium-Beryllium-Messungen über Millionen Jahre zurück bestimmbar sind. Auch DNA-Analysen und systematische Vergleiche der Knochenstrukturen erlauben es, die menschliche Entwicklung einigermassen verlässlich nachzuzeichnen.
Wir stammen aus Ostafrika
Die ältesten bisher gefundenen Fossilien lassen darauf schliessen, dass die ersten menschenartigen Wesen (Hominiden) vor rund 23 Millionen Jahren in Ostafrika entstanden sind; dies wohl wegen der damals dort herrschenden günstigen klimatischen Bedingungen. Die Dinosaurier waren zu diesem Zeitpunkt schon rund 40 Millionen Jahre ausgestorben. Die Weiterentwicklung der Hominiden geschah in verschiedenen parallelen Linien. Vor ungefähr fünf bis sieben Millionen Jahren spaltete sich die Linie des (Ur-)Menschen/Schimpansen von jener der übrigen afrikanischen Menschenaffen ab. Rund zwei Millionen Jahre später trennte sich die Linie des (Ur-)Menschen vom Schimpansen. Er entwickelte sich zum Homo Erectus (der aufrecht gehende Mensch). Dessen direkte Nachfahren sind der Homo Sapiens (der moderne Mensch) und sein Verwandter, der Neandertaler. Mitgespielt bei der menschlichen Entwicklung hat das natürliche Umfeld. Vor fünf bis zehn Millionen Jahren kühlte sich die Erdoberfläche stark ab und trocknete in vielen Gebieten aus. In den weiten Ebenen Afrikas entstanden Savannen, und das pflanzliche Nahrungsangebot bildete sich zurück. Dafür gab es in den Steppen reichlich Wild. Zur Deckung seines Nahrungsbedarfs entwickelte sich der Homo Erectus zum zähen Dauerläufer. Vorteilhaft für ihn waren der aufrechte Gang, die Fähigkeit zu schwitzen und vor allem seine Intelligenz. Die grossen Wild- und Raubtiere besitzen keine dieser Eigenschaften und sind daher – selbst wenn sie auf kurzen Distanzen schneller sind – weit rascher erschöpft als der Mensch. Vermutlich hat er in Gruppen das Wild in Treibjagden zur Erschöpfung gebracht und dann mit grossen Steinen erlegt.
Neandertaler-Gene in uns
Vor rund 1,1 Millionen Jahren breitete sich der (Ur-)Mensch von Afrika über den mittleren Osten allmählich gegen Südostasien und Europa aus. Seit rund 300’000 Jahren kann er selber Feuer machen. Das Kochen machte das Fleisch leichter verdaulich und die Nahrung gesundheitlich sicherer. In Europa lebten während mehreren zehntausend Jahren Neandertaler und der Homo Sapiens nebeneinander, wobei sie sich auch vermischten. Letzterer starb vor rund 30’000 Jahren aus. Neueste Forschungsergebnisse belegen, dass auch wir Gene des Neandertalers in uns tragen. Meilensteine auf dem Weg zur menschlichen Zivilisation waren die Entwicklung kognitiver Eigenschaften (Wahrnehmung der Umwelt über die Sinne, Speicherung und Verarbeitung von Informationen, durch Denken gesteuertes Verhalten usw.), die Sprache, die Schaffung komplexer Werkzeuge, die Domestizierung von Tieren, der Wechsel vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit (Ackerbau) sowie die Erfindung des Rades und der Schrift. Die wichtigsten Entwicklungsschritte erfolgten erst in den letzten 20’000 Jahren.
Überleben durch Anpassung
Spätestens seit der Evolutionstheorie von Charles Darwin wissen wir, dass bei den Pflanzen und Lebewesen nur jene Arten überlebt haben, die sich am besten an ihre natürliche Umwelt anzupassen vermochten. Bei den Primaten hat sich aufgrund dieser natürlichen Selektion der Homo Sapiens am erfolgreichsten weiterentwickelt. Massgebend dafür waren spezifische körperliche und mentale Eigenschaften, die nach dem Zufallsprinzip vererbt wurden. Vor allem dank seiner grösseren Hirnmasse und Intelligenz vermochte er den äusseren Bedingungen zu trotzen und seine körperlichen Schwächen wettzumachen. Unsere moderne Zivilisation – bedingt durch Technik und Medizin – hat die Mechanismen der natürlichen Selektion weitgehend zum Stillstand gebracht.
Unsere körperlichen Eigenschaften und mentalen Reflexe basieren auf einem Entwicklungsprozess, der über Millionen Jahre zurückreicht. Kein Wunder, dass wir diese nicht innert weniger Jahrzehnte einfach ablegen können.
Willy Dietrich