Wann holt man Nostradamus aus der Gruft?

Wann holt man Nostradamus aus der Gruft?

2 Tatsachen gebe ich zu: Bei Themen von allgemeinem Interesse, von denen ich zumindest die Spur einer Ahnung habe oder es zumindest glaube, rede ich gerne mit, lasse mich jedoch durchaus von anderen Meinungen überzeugen. Es gibt ja nicht bloss (m)eine. Und ich bin auch ein Oldie, was meine Ansprüche an guten Journalismus betreffen. Konkret: Das heisst, bevor die Fastfood-Berichterstattungen der Online und Breaking News erfunden wurden.

Klar: Die Verlage haben es heute nicht einfach, weil die Inserateeinnahmen seit Corona eingebrochen sind. Was jetzt? Zum Beispiel die beiden Berner Tageszeitungen, die dem gleichen Verlag angehören, unter dem Namen «Die Hauptstadt» und dem Untertitel «Die Berner Zeitung» zusammenlegen? Keine Ahnung. Sicher ist indes, dass Werbung und die Einnahmen daraus vermehrt an Online-Nachrichten gekoppelt werden, und da gilt: Je knalliger ein Bericht aufgemacht ist, desto grösser die Chance, dass er gelesen und die Werbung wahrgenommen wird, womit auch die Kasse beim Verlag klingelt. Das Dumme daran: Online-Nachrichten müssen zwingend schnell aufgeschaltet werden. Wahrheitsgehalt in vielen Fällen, so scheint es jedenfalls, eher sekundär. Oder man präpariert dann einen Einzelfall so, dass er mehrheitsfähig wird.

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Womit wir schon voll im heutigen Thema drin wären. Zu Beginn der wirklichen Corona-Berichterstattungen in der Schweiz, das heisst mit dem Lockdown von Mitte März, interessierte mich die Entwicklung in Sachen Covid-19. Unglaublich, was da auf gewissen TV-Kanälen und in den Online-Medien zum Teil verbreitet wurde. Habe ich es schon geschrieben? Ich diskutiere gerne mit. Geht auch bei Online-Zeitungen. In meinem Fall bei der «Berner Zeitung», in den Kommentarspalten. Logisch, man hat sich bei seiner Meinung an gewisse Regeln zu halten. Habe ich gemacht. Keine Beleidigungen in Richtung der Schreiberlinge, wohl aber mit kritischen Fragen zu gewissen Berichten oder Leseräusserungen. Interessant: Keiner (!) meiner Kommentare wurde jemals veröffentlicht, dabei gab es unter anderem harmlose Anmerkungen wie «Wann endlich wird jemand auf die Idee kommen und Nostradamus aus seiner Gruft bemühen? Er hat diesen Virus bestimmt vor­ausgesagt, wie angeblich schon 9/11.» Oder auch, wenn ein fast vergessener Lokalpolitiker gegen Entscheide des Bundesrates gemotzt hat, nur um sich in Erinnerung zu rufen, mit «Was kümmert es den Mond, wenn ein Hund ihn anbellt?».

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Also habe ich der BZ-Redaktion eine Mail geschrieben, mit der Frage, ob man kritische Fragen aus der Leserschaft zur Berichterstattung ausblendet? Und aufgrund meiner Erfahrungen: Kann es sein, dass ein Absender automatisch im virtuellen Ghüder­chübu landet, weil als Unbequemer non grata eingestuft? Sie wissen es: Online muss schnell gehen, dennoch warte ich eine Woche auf die Antwort. Und die hat es in sich. Ich drucke sie Ihnen im Wortlaut 1:1 aus, ohne Kommentar, weil ich darüber noch heute sprachlos bin.
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«Da ich in meiner Funktion als Social Media Redaktor Praktikant auch Kommentare freischalte, kann ich Ihnen vielleicht ein paar Antworten liefern. Wir schalten jeden Kommentar frei, der unsere Regeln einhält. Dazu gehören natürlich auch kritische Kommentare. Wir möchten eine offene und diskussionsfreudige Kommentarspalte, die sich auch kritisch mit den Thematiken befasst, welche sich aber im Rahmen der Vernunft bewegt. Wieso Ihre Kommentare nicht freigeschaltet wurden kann ich ihnen leider nicht beantworten, mir sind bisher keine Kommentare von Ihnen aufgefallen. Zwingend ist natürlich, dass Sie registriert sind um die Funktion zu nutzen. Wir freuen uns, dass Sie weiterhin bei uns Kommentare verfassen und sich an Diskussionen beteiligen.»

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Mit Verlaub: «Zwingend ist natürlich, dass Sie registriert sind um die Funktion zu nutzen.» Hält man mich für einen Volltrottel? Ich antworte dem Praktikanten, dass nach dem Absenden meiner Kommentare immer eine Bestätigung kam, im Sinne von «Danke für Ihren Kommentar, es kann eine Zeit dauern, bis er aufgeschaltet wird.» Zudem würde ich unter einem Pseudonym schreiben, aus ganz bestimmten Gründen.

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Vor allem aber habe ich in jener Mail meiner Verwunderung Ausdruck gegeben, dass man einen Praktikanten mit den Freischaltungen und mit der Antwort beauftragt. Richtig für voll genommen würde ich mich nicht fühlen. Er solle die Mail doch gleich seinem Vorgesetzten weiterleiten. Keine Ahnung, ob er es getan oder gleich in den Ghüderchübu weitergeleitet hat. Eine Reaktion habe ich jedenfalls nie erhalten.

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