In der Tat: Es bleibt eine unvergessliche Reise auf diesem 240 Kilometer langen Kanal mit seinen über 100 Brücken und über 60 Schleusen, der bereits im 17. Jahrhundert (!) in nur 14 Jahren von 12’000 Leuten unter der Leitung von Pierre-Paul Riquet fertiggestellt wurde. Hierzulande ist dies nur mit dem Bau der Jungfraubahn durch Adolf Guyer-Zeller zu vergleichen, wenn auch erst mehr als 200 Jahre später. Man stelle sich lieber nicht vor, mit welchen Mitteln und Gehässigkeiten solche Monumentalbauten heute verhindert würden. Stimmt: Die Zeiten haben sich geändert.
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Sie erinnern sich (vielleicht nicht mehr): In meiner letzten Kolumne habe ich davon geschrieben, dass jede Frau mit ihrem Auto besser als ich rückwärtsfahren kann. Quod est demonstrandum: Als ich vor einigen Jahren das Auto auf den Parkplatz nahe der Hausboote im Rückwärtsgang für eine Woche parkieren will, da nehme ich einen halben Lichtkandelaber mit. Tolle Beule, tolle Reaktion meiner Mitfahrenden, toller Ferienbeginn mit Familie Lüthi. Party!
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Item, wir tuggern los, das geht mit dem Boot ganz einfach, der Kapitän – Christian und ich wechseln uns ab, zwischendurch dürfen auch Leandro und Patrick, damals noch keine Teenies, unter Aufsicht ran – muss einfach aufpassen, dass er tiefer liegende Äste auf dem Kanal aus der Distanz richtig einschätzt und zu umfahren versucht. Nicht wie ich, als das halbe Sonnendeck abgeräumt wird, sehr zur Freude unserer Frauen.
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In einer Ortschaft, deren Name ich inzwischen vergessen habe, halten wir an, um bei einem Intermarché – eine Art Migros französischer Prägung – unseren Proviant aufzustocken. Leändu und Pädu wollen auf dem Boot bleiben, Claudia und Sabrina begleiten uns, es könnte ja Schläckzüügs für sie in den Regalen stehen haben. Der Supermarkt ist nur wenige Gehminuten vom Hafen entfernt. Plötzlich glauben wir hinter einem Gestell die Stimmen unserer Söhne zu hören. Und in der Tat: keine Fata morgana, Augenblicke später stehen die beiden jungen Mannen vor uns. Der Grund: Ihnen ist plötzlich in den Sinn gekommen, dass es im Supermarkt eventuell vielleicht möglicherweise unter Umständen ja Schläckzüügs haben könnte, also haben sie die Türe zum Bootshaus abgeschlossen und sind losgerannt. Kleines Detail am Rande: Ihnen ist der Schlüsselbund für das Boot ins Wasser gefallen.
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Was nun? Die Wasserschutzpolizei aufbieten? Die Tauchspezialisten der Légion étrangère? Die Rega gar, weil ich einem Herzinfarkt nahe bin? Auf dem Weg zurück marschieren wir an einem Sportgeschäft mit Taucherartikeln vorbei. Eine Ausrüstung mieten mit Sauerstoffflaschen und Lungenautomat? Mal sehen. Als wir beim Boot ankommen der Blick ins Wasser. Eine trübe Sache. Wo genau haben die beiden den Schlüssel fallenlassen? «Ungefähr dort», kommt als Antwort mit Fingerzeig. Wunderbar, «ungefähr». Ich ziehe die Badehose an, gehe auf Tauchgang, Augen offen. Viel zu sehen ist da nicht, Aber halt! Was ist das dort, das scheinbar im Wasser schwebt, ungefähr 10 cm ab Boden? Es ist der Tennisball grosse Schlüsselanhänger aus Kork, der sich einen Weg an die Oberfläche bahnen will, aber wegen der drei Schlüssel daran gehindert wird. Genial durchdacht, als hätte man um unsere Buben gewusst. Im Trüben fischen lohnt sich also allemal. Ach ja, ihre beiden Schwestern waren so lieb und haben ihren jüngeren Brüdern dann das eine oder andere Schläckzüügs geschenkt, weil die Herren keines erhalten haben.
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Was Sie wissen müssen: Die Schleusenwärter in der Grande Nation sind bei ihrer Arbeit überpünktlich. Mit den Gewerkschaften haben sie genaue Vorgaben ausgehandelt, die auch strikt eingehalten werden, so ruht der Betrieb – emel zum Zeitpunkt unserer Reise – ab 12:30 Uhr für eine Stunde. Will heissen: Wer um 12:28 Uhr auf eine Schleuse zufährt, kann den Kahn gleich am Ufer anbinden und ebenfalls Mittagspause einlegen. Eine Ausnahme bestätigt diese Regel. Gerade, als wir um 12:25 Uhr vor einer Schleuse die Böschung anvisieren, bedeutet uns der Schleusenwärter, einzufahren, zusammen mit drei weiteren Booten. Schleuse zu, Wasser rein, gegen 12:40 Uhr sind wir für die Weiterreise bereit. Nur: Die Schleusenöffnung bleibt zu (Sie wissen schon, wegen den Gewerkschaften). Dann passiert etwas, das jeden Marketingmanager in den Schatten stellt: Im Wissen, dass seine Eingeschlossenen für beinahe 45 Minuten zum Warten gezwungen sind, schauen Schleusenwärter und seine Frau bei den Booten vorbei, mit… selber gebackenem Birnenkuchen. Dabei bekommen alle Bootsfahrer eine Geschichte dazu erzählt. Birnen von den Bäumen «da», Mehl von den Feldern «dort», Steinbackofen im Hause «gleich nebenan». Mon Dieu! Wie ist der Mann bloss auf diese grandiose Idee gekommen? Jeder Marketingdozent erblasst vor Neid. Auch jede Marketingdozentin. Erstaunt, dass der Gardien d’écluse und seine Frau Gardienne rübis und stübis alles verkauft haben?