Er hatte es mir schon lange in Aussicht gestellt: Josef Németh mit seiner gleichnamigen Garage in Hinterkappelen, in der Maseratis, Ferraris oder Bentleys verkauft werden. Und andere Marken auch. Eines Tages, so versprach er es mir, würde er mich in einem Ferrari ausfahren. Siehe da: Er hielt Wort. Ist zwar schon eine Weile her, aber die Erinnerungen an dieses Erlebnis verblassen nicht.
Geneigte ¬¬– möglicherweise auch etwas weniger geneigte – Leserinnen und Leser meiner Kurzgeschichten wissen, dass ich normalerweise nur mit meinem Yamaha-Roller oder meinem Ford Fiesta unterwegs bin (ab und zu auch mit meinem E-Flyer). So auch für meinen Besuch in Hinterkappelen. Mit gebührendem Comment stelle ich meinen mickrigen Roller zwar nicht in ein Gebüsch, wohl aber schön versteckt hinter die Garage, in der drei Spezialisten gerade daran sind, einen F-40 hochzuglänzen, übrigens mit handelsüblicher Riwax-Politur. Weil Josef Németh noch nicht da ist, parliere ich mit einem der Männer. Im Laufe unserer Unterhaltung stellt sich der F-40 als F-50 heraus. So viel also zu meinem automobilen Know-how.
Pünktlich fährt auch Josef Németh ein. Kurze Begrüssung, dann erscheint ein neuer Ferrari Maranello 575 auf der Bildfläche, in klassischem rot, versteht sich. «Bitte, steigen Sie ein», schmunzelt er, währenddem er sich elegant in den Fahrersitz gleiten lässt, was für einen schätzungsweise 170cm grossen und 70kg schweren Zeitgenossen auch keine nennenswerte Herausforderung darstellt. Bei mir allerdings (193/120) dauert das eine Weile, bis ich mich ohne übergrossen Schuhlöffel neben den Driver (wer würde denn in diesem Fall banal von einem Fahrer schreiben?) gezwängt habe. Aus dem Internet weiss ich bereits, dass der Maranello 575 das erste Ferrari-Strassenauto mit einer Formel-1-Schaltung ist, also der gleichen Schaltung, wie Charles Leclerc sie in seinem Dienstwagen gebraucht. Der 5.7-Liter-Motor mit 12 Zylindern bringt 500 PS auf die Räder, die in 4 Sekunden auf 100 Km/h beschleunigen. Ich stelle mir plötzlich vor, wie Madame Demeuron-von Tscharner mit ihrem rollenden «rrrrrrr» den Namen Ferrari ausgesprochen und anschliessend festgestellt hätte, dass man sich nicht für den Ferrari Maranello 575 interessieren sollte, wenn man(n) ihn sich nicht leisten kann.
Zurück nach Hinterkappelen, Nach dem Angurten ist beim Starten des Motors zuerst einmal Staunen angesagt. Nichts von ohrenbetäubendem Lärm, nichts von Gegensprechanlage zwischen Driver und Beifahrer, in normaler Lautstärke erklärt mir Josef Németh, was es mit der Formel-1-Schaltung auf sich hat, bei der die Hände ständig am Lenkrad bleiben und alle Befehle – so es denn bei der Getriebeautomatik überhaupt welche braucht – mit den Fingerspitzen ausgeführt werden.
Ausgangs Wohlen, in Richtung Aarberg, überschlägt es mich innerlich ein erstes Mal. In einer Linkskurve, die ich mit dem Fiesta mit schlappen 35 Km/h passiere, da schafft es der Ferrari easy mit 80. Kein Reifenquietschen, kein Sliding, rein gar nichts. Als ob die Karre auf Schienen fahre würde. Wow! Sekunden später die Haarnadelkurve, die nach Illiswil raufführt. Zum Glück hocke ich angegurtet in einem Schalensitz, sonst würde ich ob der unglaublichen Fliehkraft – obwohl Josef Németh artig 80 fährt – wohl zum Driver rüberpurzeln. Das Mass aller Dinge ist jedoch die Beschleunigung des Ferraris, die ich auf einer Überlandstrasse zweimal demonstriert erhalte, wo im Moment weit und breit kein anderer Strassenverkehrsteilnehmer zu sehen ist. Aus dem Stand heraus (und wiederum ohne Quietschen und/oder Durchdrehen der Reifen) beschleunigen die über 500 Rössli – das Fahrwerk von Komfort auf Sport umgestellt –, dass es beim Schalten vom ersten in den zweite Gang im Äcke knackt. Zu schade, müssen wir die Übung nach knapp drei Sekunden abbrechen.
Ganz gemütlich geht es dann via Aarberg und Wohlen nach Hinterkappelen in die Garage retour, wo ich mich der Einfachheit halber bei offener Türe einfach seitlich rausfallen lasse, damit ich beim Aussteigen nicht das Lederinterieur mit ungeschickter Fuss- und Beinakrobatik beschädige. Und noch zum Titel der Story: Im Gegensatz zu Charles Leclerc, der seinen Formel-1-Ferrari selber steuern muss, hatte ich die Bequemlichkeit eines Chauffeurs. Läck, isch das geil gsi!
Thomas Bornhauser