Im Büro von Regula Mader, der Leiterin vom Schlossgarten, wo 272 Menschen mit einer körperlichen und/oder geistigen Beeinträchtigung betreut werden, fällt mir das Bild von Xaver Roth* sofort auf. Ich schaue es mir lange an – und bleibe sprachlos (ein Zustand, der bei mir eher selten vorkommt), stelle mir vor, das Werk würde im Schaufenster einer Galerie an der Madison Avenue in New York hängen, mit einem fünfstelligen Preisschild – aber lassen wir das… Auf meinem Rundgang durch die Institution bleibe ich vor vielen Tonköpfen stehen, ebenso beeindruckt wie Minuten zuvor. Stimmt, liebe Lesende, es lohnt sich nicht, über den Geschmack zu streiten. Zu meiner Ehrenrettung sei gesagt, dass ich mir durchaus zutraue, zumindest ein wenig über «moderne Kunst» mitreden zu können, obwohl alles andere als allwissend. Diese Tonköpfe wurden von Karl Gasser* gefertigt. Ich möchte mehr über diese beiden Künstler wissen, beide mit einer psychischen Erkrankung, sodass sie einer Begleitung im Alltag bedürfen.
Traumfänger
Was sowohl bei Xaver Roth als auch bei Karl Gasser auffällt: Beide präsentieren Köpfe, die gegen oben offen sind. Zufall? Béatrice Buri, Kunsttherapeutin und Leiterin der Ateliers im Schlossgarten, ist meine Anlaufstation, sie arbeitet mit den beiden Bewohnern zusammen, genauso wie mit weiteren 26 Menschen, die bei ihr malen und gestalten.
Es ist Xaver Roth selber, der seinen Kopf eines Mannes als «Der Traumfänger» betitelt. Béatrice Buri: «Dieser Traumfänger ist für Xaver Roth eine wichtige Person, mit seinem Schmuck. Das Werk hat er nach zwei Stunden fertiggestellt.» Ich frage Béatrice Buri, wie sie sich mit Xaver Roth jeweils über ein Bild unterhält? «Ich betrachte Werke immer aus einer gewissen Distanz und absolut wertfrei, stelle dann Fragen, keine Forderungen. Zum Beispiel: Wer ist das, ist das Bild für Sie so fertig? Braucht diese Person noch irgendetwas?» Die Fachfrau weiss genau, worauf es ankommt, findet immer wieder den Zugang auch zu verschlossenen Menschen. Sie drängt sich nicht auf, ist eine professionelle Begleiterin im Atelier.
Von kleinen und grossen Öffnungen
Betrachten wir nun die Tonfiguren von Karl Gasser. «Er nimmt sich ein Stück Ton und läuft damit hin und her, bringt die ursprünglich unförmige Masse in jene Form, die für ihn stimmt.» Wie die meisten Kunstschaffenden hat auch Karl Gasser eine Entwicklung hinter sich: Zuerst waren diese Tonköpfe im Rohbrand – einige innen glasiert, um sie wasserfest zu machen – eher wirr, mit grossen Öffnungen gegen oben. Erst mit der Zeit hat er immer feiner modelliert, sodass die Gesichter klarer zum Vorschein kamen, wie man auf dem einen Bild sehr gut erkennen kann. Für eine Ausstellung wurde ein Teil der Köpfe mit Blumen gefüllt. Dies hat die Kunsttherapeutin mit Karl Gasser besprochen und auch die Blumen mit ihm im Garten ausgesucht: «Aber nur mit solchen, die nicht absterben.» Er wollte sie also mit Leben füllen. Interessant auch: Die Öffnungen werden im Lauf seiner Metamorphose immer kleiner, als ob sie eines Tages zuwachsen könnten.
Was macht den Unterschied?
Malen oder arbeiten Frauen im Atelier Schlossgarten eigentlich anders als Männer, haben sie in ihren Werken eine bestimmte Handschrift? «Nein», sagt Béatrice Buri, «da ist kein erkennbarer Unterschied.» Ähnliches gilt auch für Farben: Nur weil jemand gerne mit Schwarz arbeitet, bedeutet das überhaupt nicht, dass er oder sie depressiv ist. Ähnliches gilt für eine Bewohnende, die gerne rote Herzen zeichnet – das heisst nicht, dass sie eine Frohnatur ist.
Wichtig zu wissen ist, dass die Bewohnenden nicht in erster Linie im Atelier Kunst erschaffen, um ihre Werke später an Ausstellungen zu zeigen und gar zu verkaufen. «Unsere Bewohnenden sagen, ob sie für eine Ausstellung arbeiten wollen – oder auch nicht.» Womit sich der Kreis für die Bewohnenden schliesst.