Ich habe ein Mandat bei einer Gruppe von Alterswohnheimen im Kanton Bern, darf die Leute in Sachen Kommunikation beraten, helfe mit, ihre Personalzeitung zu realisieren. Und nun das: Die Personalchefin kontaktiert mich letztes Jahr, wohl im Hinterkopf, dass ich auch Kriminalromane schreibe und zuvor recherchiere. Ihr Anliegen: Das Unternehmen hat 2 Bewerbungen auf ein Inserat für eine offene Stelle als Pflegefachfrau erhalten. Es sei ihr aber nicht möglich, mit den beiden Kandidatinnen in Kontakt zu treten, so sehr sie es auch versuche. Ob ich weiterhelfen und recherchiere könne?
* * * *
Ich erhalte die beiden Bewerbungen. Eine kommt aus Bern, die andere aus St. Gallen. Beide Dossiers sind hervorragend aufgemacht, mit Lebensläufen, Fotos der Kandidatinnen, kopierten Zeugnissen und ebensolchen Fähigkeitsausweisen. S. Yilmaz aus Bern hat gemäss ihren Unterlagen im Spital Thun STS gearbeitet, F. Kälin aus St. Gallen im Kantonsspital. Beide haben grossartige Referenzen.
* * * *
Was sofort auffällt: Beide Bewerbungen sind optisch identisch in ihrer Aufmachung. Und beide Frauen haben ihre Unterlagen am gleichen Tag abgesandt. Auch ich versuche, sie über die angegebenen Koordinaten zu erreichen. Fehlanzeige, keine Kontaktnahme möglich. Eine komische Sache. Ich erkundige mich bei beiden Spitälern, ob sie möglicherweise weitere Angaben machen können. Wie sich herausstellt, hat eine S. Yilmaz nie beim Spital Thun STS gearbeitet, die Personalchefin, die das Zeugnis unterschrieben hat, existiert nicht. Wir vereinbaren, dass wir in Kontakt bleiben. Die St. Galler ihrerseits mögen wegen F. Kälin gar keine Auskunft geben. Datenschutz. Ich frage nach, ob sie denn kein Interesse haben, Fake-Angaben nachzugehen? Keine Antwort.
* * * *
Zum Schluss versuche ich es mit einer Fake-Mail an eine der beiden Frauen. Erfolglos. Mit der Personalchefin «meiner» Alterswohnheime einige ich mich darauf, dass wir die Dossiers aufs Eis legen und auf Kommissar Zufall warten. Und der taucht einige Monate später auf, in der Person eines Profax an der Uni Neuenburg. Nachstehend einige stark gekürzte Passagen aus seiner Mail, die mir im vollen Wortlaut vorliegt.
«Ein Forschungsteam der Universität Neuchâtel hat kürzlich eine experimentelle wissenschaftliche Studie über den Rekrutierungsprozess auf dem Schweizer Arbeitsmarkt durchgeführt. (…) Dieses Verfahren besteht darin, bei öffentlich zugänglichen Stellenausschreibungen jeweils 2 fiktive Bewerbungen einzureichen. Die beiden Kandierenden verfügen über gleichwertige Qualifikationen, unterscheiden sich aber in einem Punkt, der genauer untersucht werden soll. In unserem Fall ist das die Herkunft, mit oder ohne ausländische Herkunft. Es geht darum herauszufinden, ob die Kandierenden zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden. (…) Unser Projekt wurde vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) finanziert, und die Ethikkommission der Universität Neuchâtel hat unser Vorgehen genehmigt. (…) Letztes Jahr hat Ihr Unternehmen eine Stelle als Pflegefachfrau ausgeschrieben, für die wir 2 Bewerbungen eingereicht haben. Wir möchten Sie darüber informieren, dass die Dossiers von F. Kälin und S. Yilmaz fiktiv waren. Wir bitten Sie, diese beiden Dossiers als null und nichtig zu betrachten und gegebenenfalls zu vernichten.»
Mit anderen Worten: Die Uni Neuenburg bedient sich falscher Bewerbungen fiktiver Personen, die gefälschte Zeugnisse vorlegen. Von der Ethikkommission durchgewunken, von Nationalfonds finanziert. Wir sind geschockt, stellen dem Professor Fragen zum Vorgehen, zu den Urkundenfälschungen. Wussten die Spitäler davon, haben sie stillschweigend mitgemacht? Vor allem aber: Wie kann so eine Studie funktionieren (schliessen sich wissenschaftlich und experimentell nicht aus?), wenn man die angeblichen Kandidatinnen überhaupt nicht kontaktieren kann? Wird da nach dem Motto «Kopf oder Zahl» geforscht? Was soll das?
* * * *
Professor D. hat innert 4 Wochen 3 Mails erhalten, mit der Bitte um Stellungnahme. Keine Antwort. Liebe Lesende, Sie glauben, auch die Mail der Uni Neuenburg sei ein Fake, Professor D. gäbe es gar nicht? Irrtum. Ich habe mich nach ihm erkundigt, an der Uni Neuenburg, er existiert. Seine weiteren Angaben in der Mail schliessen zudem Missverständnisse aus. Professor D. erhält eine Kopie der heutigen Geschichte. Mal sehen, was jetzt passiert. Und wer weiss, vielleicht liest ein gestandener Journalist diese Story und macht sich selber ans Recherchieren.