Unter der Moderation von Christine Hubacher von Radio SRF diskutierten Regierungsrat Christoph Neuhaus, Hansueli Rindlisbacher, Gesamtleiter des Zentrums für Sozial- und Heilpädagogik Landorf Köniz-Schlössli Kehrsatz, Roland Begert, ehemaliges Verding- und Heimkind und Autor des Romans «Lange Jahre fremd» sowie Urs Hafner, Historiker und Autor von «Heimkinder. Eine Geschichte des Aufwachsens in der Anstalt».
Christine Hubacher erinnerte daran, dass sich der Kanton Bern vor vier Jahren bei den ehemaligen Heim- und Verdingkindern entschuldigt habe. Dabei habe sie von Betroffenen oft gehört, dass nicht die Schläge das Schlimmste waren, sondern das Fehlen der Liebe.
Roland Begert versteht heute, dass Liebe geben gar nicht möglich gewesen war. «In den 1940-er-Jahren kamen auf 280 Kinder gerade einmal 25 Betreuungspersonen», erzählt er aus seinem Heimalltag. Viele davon waren Ordensschwestern, die diese schwierige Aufgabe ohne Ausbildung versahen, nur aufgrund ihres Glaubens, aus dem sie Kraft schöpften. Der Glaube, dass es zur göttlichen Ordnung gehöre, dass es unten Arme und oben solche gebe, die beschaulich leben durften, war im Heim fest verankert. Auch bei Pestalozzi und Gotthelf lasse sich diese Ideologie finden.
«Liebe war in dieser Zeit nicht mit Wärme verbunden, sondern eng verknüpft mit Strenge und Strafe», doppelte Urs Hafner nach. Es seien Kirchen und Private gewesen, die sogenannte Rettungsanstalten für die armen und verwaisten Kinder errichteten. Diese Einrichtungen seien unter grauenhaft schlechten ökonomischen Bedingungen geführt worden. Die Überforderung sei allgegenwärtig gewesen und habe in einigen Heimen zu richtigen Strafexzessen geführt. «Es herrschte der Glaube, dass beim Kind der Starrsinn gebrochen werden müsse, da sonst aus Kindern mit dieser Abstammung nichts Gutes werden könne. Kontrolle gab es kaum. Die meisten Kinder waren wegen Armut im Heim und hatten keine Lobby.»
Verstehen und Versöhnen
Roland Begert erinnerte sich, dass die psychischen Strafen schlimmer waren als die körperlichen. «Man wusste nicht warum und erlebte es als verletzend.» Jemand, der ihm zu Seite gestanden hätte, kannte er nicht. «Ich habe meinen Vormund in all den Jahren zweimal für ein paar Minuten gesehen.» Heute möchte er aber verstehen und das Ganze im Kontext der damaligen Zeit sehen. Versöhnlich erinnert er sich auch an gute Zeiten in der Bubengruppe, als sie auf dem Feld mit blossen Händen die Kartoffeln ausgraben mussten und dabei manch selbstauferlegte Mutprobe bestehen wollten. Es sei auch nicht so, dass alle Heimkinder später nicht einen Weg im Leben und der Gesellschaft gefunden hätten.
Hingegen frage er sich durchaus manchmal, ob heute das Mass nicht überzogen werde mit der Betreuung in den Heimen. Früher kostete ein Kind 30 Franken im Monat und heute zwischen 8000 und 12’000 Franken.
Früh intensiv und
nachhaltig investieren
Hansueli Rindlisbacher ist überzeugt, dass das Sparen bei jungen Menschen fatal wäre. «Heute bleiben die Kinder weniger lang im Heim als früher. Wir investieren lieber kurz und nachhaltig, in dem wir beispielsweise intensiv mit den Eltern zusammenarbeiten.» Neben dem stationären Bereich werde auch eine ambulante Betreuung angeboten, damit ein Heimaufenthalt vermieden werden könne. «Wir arbeiten bedarfsorientiert.» Im Gegensatz zu früher seien die Heime heute keine geschlossenen Anstalten mehr. Die Eltern, beziehungsweise vorwiegend die Mütter, zu befähigen, mit ihrem Kind anders umgehen zu können, dies sei Nachhaltigkeit.
Auch Christoph Neuhaus ist überzeugt, dass in jungen Jahren investiert werden müsse und erwähnt, dass der teuerste Strafgefangene im Kanton Bern 59’000 Franken monatlich koste. Wichtig sei auch, aus der Geschichte zu lernen und heute bestmöglich zu arbeiten.
Ueli Studer, Gemeindepräsident von Köniz engagierte sich im Schlusswort. «Ich möchte eine Lanze brechen für das Image der Heime. Dort arbeiten gut ausgebildete Fachleute, die einen Superjob mit relativ bescheidenen Mitteln machen», so das Mitglied der Heimkommission Landorf Köniz-Schlössli Kehrsatz.