«Eines Abends schaute ich eine CSI-Folge im Fernsehen und da kam mir plötzlich alles wahnsinnig unrealistisch vor. Wenn jemand stirbt, trauern die Leute dort zwar kurz, stecken es dann aber locker weg. Da begann ich mir Gedanken über den Stellenwert des Todes in unserer Gesellschaft zu machen. Er ist für die meisten von uns etwas Abstraktes und wir befassen uns nicht gerne damit», erklärt Schwerzmann die Entstehung ihrer Doku, an der sie zehn Jahre lang gearbeitet hat. Nachdem sie für verschiedene deutsche und schweizerische Medien in Print, Radio und Fernsehen im In- und Ausland tätig war, ist die 39-Jährige nun beim deutsch-französischen Sender ARTE angestellt und für die Dokumentarserien zuständig. Dazu pendelt sie zwischen Mulhouse, ihrem Wohnort, und Köniz, wo sie aufwuchs, hin und her.
Gespaltenes Verhältnis
Für ihre Kurzdokumentation, die im Mai erschien, arbeitete Schwerzmann mit drei Personen, die täglich mit dem Tod konfrontiert sind zusammen: einem Rechtsmediziner, einem Tatortreiniger und einer Polizistin, die in der Spurensicherung tätig ist. «Die drei waren schnell bereit, bei meinem Projekt mitzuwirken. Bis ich ihr Vertrauen in meine Arbeit und in meine Absichten gewinnen konnte, dauerte es aber ziemlich lange», blickt die gebürtige Könizerin zurück und ergänzt: «Es ist verständlich, dass alle drei ein gespaltenes Verhältnis zu den Medien haben; oftmals wird über solche Themen auf eine voyeuristische Art berichtet. Das war aber nicht mein Ziel, da es mir nicht direkt um ihre Berufe ging, sondern vielmehr darum, was diese aus den drei Protagonisten machen.» Deshalb stand sie rund 4,5 Jahre in engem Kontakt mit ihnen, führte viele Gespräche und recherchierte, begleitete sie aber nie zu ihrer Arbeit. «Ich wollte die Berufe möglichst aus der Perspektive der Zuschauenden zeigen, die im Film auch keine Bilder des Tatorts oder von Toten zu sehen bekommen», meint sie.
Einzigartiges Erlebnis
Pro Person wurde schliesslich ein Tag lang gedreht, bevor das Filmmaterial geschnitten werden konnte. «Während dem Schneiden wurde mir bewusst, wie viel Macht ich nun hatte, da nur ich bestimmen konnte, was und in welcher Abfolge die Zuschauenden den Film zu sehen bekommen würden. Deshalb erstellte ich zusammen mit einem Programmierer einen Algorithmus, der die einzelnen Videos wild durcheinander mixt», erläutert Schwerzmann. Schaut man sich im Internet den frei zugänglichen Dokumentarfilm an, wird man also jedes Mal eine andere Variante mit anderen Sequenzen zu sehen bekommen, wobei einzig der Anfang und das Ende gleichbleiben. Das Statistikinstitut der Universität Bern habe für sie die Anzahl der möglichen Kombinationen ausgerechnet: «Die Wahrscheinlichkeit, dass wir exakt dasselbe zu sehen bekommen, liegt bei 1:15 Millionen; insgesamt gibt es fast 26 Millionen verschiedene Varianten», rechnet Schwerzmann lachend vor.
Freude anstatt Trauer
Wieso wird nun also der Tod als Unterhaltungsinstrument eingesetzt? «Viele von uns befinden sich in ihrem alltäglichen Leben in einem Hamsterrad und erleben wenig Aufregendes. Durch das Schauen von Krimiserien oder -filmen passiert etwas Spannendes, ohne Konsequenzen auf unser Leben zu haben. Ich denke, es ist eine Art Eskapismus», hält Schwerzmann als Antwort parat. Bleibt also die Frage, wieso im Gegensatz dazu der Tod im realen Leben gerne gemieden wird. «Ich denke, die Leute haben nicht direkt Angst vor dem Tod, sondern davor, sich die Auswirkungen und die Tatsache, dass unsere Zeit begrenzt ist, bewusst zu machen. Wir würden uns ganz anders verhalten, wenn wir wüssten, dass wir morgen vom Tram überfahren werden», ist sich die Filmemacherin sicher. Das Ziel ihrer Kurzdokumentation sei daher, dass danach über das Leben und nicht unbedingt über den Tod gesprochen werde. «Die Protagonisten sind lebensfreudige Menschen, die sich durch ihre Berührungspunkte mit dem Tod viele Gedanken über das Leben machen und es dadurch umso mehr schätzen.» Ein gutes Beispiel also, dass die Auseinandersetzung mit dem Tod nicht zwingend zu Trauer und Unbehagen führen muss. Ganz im Gegenteil.