Abgeschoben, abgeschottet, abgelegen

Abgeschoben, abgeschottet, abgelegen

Der Kanton Bern rechnet in den kommenden Wochen mit über 1000 weiteren Asylsuchenden, die zusätzlich zu den Geflüchteten aus der Ukraine untergebracht werden müssen. Zweifelslos eine Herausforderung, zweifelslos aber auch eine Abschiebung ins Niemandsland.

Ab Januar 2023 werden im «Gurnigelbad» deshalb sukzessive bis zu 220 Bettenplätze zur Verfügung stehen. Das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) soll die Asylunterkunft im Auftrag des Kantons betreiben. So haben das die Gemeinde Riggisberg, der Eigentümer des Hotels und das Amt für Integration und Soziales der Gesundheits- und Integrationsdirektion vereinbart. Die Bevölkerung von Riggisberg erhielt einen Flyer in den Briefkasten und ist über das Vorhaben informiert worden. Einer der bekanntesten Riggisberger hat gar keine Freude daran: Pfarrer Daniel Winkler. «An einem derart abgelegenen Ort ist es fast unmöglich, Strukturen zu schaffen, um diese Menschen adäquat zu begleiten», meint er. Vergleichbare Unterkünfte offenbaren: depressive, antriebsschwache Menschen und im schlimmsten Falle entwickeln sie aufgrund fehlender Abwechslung, Betreuung und Bewegung ein aggressives Potenzial.

Zweiklassengesellschaft

Winkler ist ein langjähriger Kenner des Flüchtlingswesens, ein Vorkämpfer und ein Pionier, gerade in Riggisberg. Er weiss, wovon er spricht: «Im Gegensatz zur Stadt oder den Agglomerationen ist es für aussereuropäische Flüchtlinge viel schwieriger, im ländlichen Raum zivilgesellschaftliche Unterstützung zu erhalten.» Da ist es, das Wort «aussereuropäisch». Langjährige Flüchtlingsorganisationen wie im Verteilgebiet dieser Zeitung zum Beispiel die «AG-Nothilfe» warnen schon lange, dass der Ukrainekrieg im Flüchtlingswesen eine Zweiklassengesellschaft erzeugt hat. Das bestätigt auch der Amtsvorsteher für Integration und Soziales im Kanton Bern, Manuel Michel, gegenüber dem umtriebigen Riggisberger Pfarrer: «Für die ukrainischen Flüchtlinge werden überall Häuser und Liegenschaften bereitgestellt, für aussereuropäische hingegen gibt es allergrösste Vorbehalte und trotzige Ablehnung.» Das ist also auch für den Kanton Bern und seine Lösungssuche frustrierend. Deshalb fürs Protokoll: Es sind dieselben Bomben, die in Syrien Menschenleben gefährden wie in der Ukraine, im Südsudan werden keine Wasserpistolen benutzt und die Invasion von Militär im Heimatdorf fühlt sich für Familien jeglicher Hautfarbe genau gleich an.

Überirdisch statt unterirdisch

Das Gute an der Lösung «Gurnigelbad» ist laut Winkler, «dass der Kanton oberirdische Plätze für neue Flüchtlinge sucht. Das ist begrüssenswert.» Bern betont denn auch in seiner Medienmitteilung, dass er das Ziel verfolge, möglichst oberirdische Unterkünfte zu finden. Deshalb und aufgrund der angespannten Lage sieht der Pfarrer die Lösung in der Abgeschiedenheit denn auch als letzte Möglichkeit, als ultima ratio. Viel deutet daraufhin, dass dem so sein wird. Denn der Kanton schreibt: «Der Bund und die Kantone erwarten in den kommenden Wochen und Monaten eine weitere Zunahme von Personen, die in der Schweiz ein Asylgesuch stellen werden.»

Das Mahnmal

Bern bemüht sich nach Kräften. So soll etwa die Postautoverbindung Richtung «Gurnigelbad» verbessert werden; was wiederum mit einem Augenzwinkern dem Naturpark zugutekommt, der das schon lange angestrebt hat. Es braucht das Asylwesen, damit die Verbindungen optimiert werden können. Aber das ist ein Nebenschauplatz. Winklers Sorgen beginnen nämlich erst richtig: «Im Niemandsland ist es fast unmöglich, Angebote zu schaffen, damit die Menschen betreut und integriert werden. Sie sind auf intensive Unterstützung angewiesen, eine Arbeit, die das SRK als Betreiberin der Unterkunft, mit seinen Ressourcen nicht leisten kann.» Integrieren kann sich eine asylsuchende Person im Naturpark vielleicht mit Fuchs und Reh, aber niederschwellige Beschäftigungsmöglichkeiten und Angebote dürften es ziemlich schwer haben. «Wir werden wenn nötig selbstverständlich alles Mögliche für eine optimale Unterstützung unternehmen», meint der Pfarrer zum Schluss.

Er bietet Hand, obschon er sich über den Entscheid ärgert, er versteht den Kanton, nicht aber die vielen Liegenschaftsbesitzer, die sich den aussereuropäischen Flüchtlingen verwehren. Das Gurnigelbad wird zum Mahnmal einer Zweitklassengesellschaft im Asylwesen. Die Schweiz muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie ungerecht funktioniert. Wer nicht aus der Ukraine kommt, wird abgeschoben ins Niemandsland, abgeschottet weil dann kaum Integrationsmöglichkeiten bestehen – abgelegen genug, dass nur wenige davon Notiz nehmen.

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