Ein geschenktes Leben

Ein geschenktes Leben

Im Gegensatz zur verbreiteten Blutspende ist die Spende von Blutstammzellen in der Gesellschaft wenig präsent. Unwissen und Vorurteile halten sich hartnäckig, wie Myriam Fontana weiss. In «Kopfüber an der Klippe – und der Weg zurück» gibt sie Einblick in ihre Krankheits- und Transplantationsgeschichte in der Hoffnung, Mut zu machen.

Myriam Fontana erzählt mit grosser Ruhe. Von langen Tagen im Isolationszimmer, umgeben von geschlossenen Fenstern, täglichen Desinfektionsduschen, Ärzten in Schutzanzügen. Von intensiver Wartezeit, eingehüllt in diesen für Keime und Erreger hoffentlich undurchdringlichen Kokon. Vom Zustand ohne eigenes intaktes Immunsystem, den die meisten Menschen nur vor der eigenen Geburt durchlaufen. Auch Fontanas Wartezeit endet mit dem Start in ein zweites Leben: mit der Blutstammzelltransplantation. Ein Beutel voll gesundem Blut und rettenden Stammzellen, ein Beutel pure Lebenszeit. «Das rettet jetzt mein Leben», war der erste Gedanke der jungen Frau.

100 persönliche Seiten

Zwei Jahre ist die Transplantation und damit der Start in ein neues Leben nun her. «Mein Ziel ist noch nicht erreicht, ich möchte in ein normales Leben kommen», beschreibt Fontana ihre aktuelle Situation, «es ist ein langer Weg und geht nicht linear vorwärts, sondern zwei Schritte nach vorn und einen zurück.» Ihren bisherigen Weg hat die Bösingerin in einem sehr persönlichen Buch verarbeitet. «Kopfüber an der Klippe – und der Weg zurück» gibt über 100 Seiten Einblicke in alle Emotionslagen, alle Phasen, die Fontana rund um ihre Krankheitsgeschichte durchlaufen hat. Dass all diese Gedanken und Erlebnisse nun in Buchform erschienen sind, hat mehrere Gründe. Einerseits habe es ihr bei der Verarbeitung geholfen, andererseits erhofft sie sich, Betroffenen Mut zu machen und im besten Fall neue Spenderinnen und Spender zu erreichen. Es gibt rund ums Thema Blutstammzelltransplantation grosse Wissenslücken in der Gesellschaft und entsprechend auch grosse Vorurteile.

Hartnäckige Vorurteile

«Mir ist wichtig, dass man die Leute sensibilisieren kann auf Krankheiten, die man nicht wie einen Armbruch sehen kann», erklärt sie. Es würde viel Unwissen herrschen, oft werde auch immer noch von Knochenmarkspende gesprochen. Das schüre Ängste bei potentiell Spendenden, weil oft Knochenmark mit Rückenmark verwechselt werde und viele entsprechend sofort an Wirbelsäule und Lähmung denken, wie Fontana aus Erfahrung weiss. Geduldig erklärt sie in solchen Situationen, wie die Prozedur funktioniert, welche Spendemöglichkeiten es gibt und vor allem, welche Bedeutung die Blutstammzellspende für Betroffene hat. 80 % der Spenden in der Schweiz erfolgen gemäss Blutspende SRK Schweiz peripher. Ein paar Tage vor der Spende wird dem Spender ein Mittel verabreicht, um die Blutstammzellen zu vermehren. Die Entnahme selbst erfolgt ohne stationären Spitalaufenthalt. Je nach Krankheit ist eine Entnahme aus dem Knochenmark nötig. Dabei werden die Stammzellen aus dem Beckenknochen entnommen, was eine Vollnarkose und einen Tag im Spital unumgänglich macht.

Transplantation als letzte Option

Wenn Fontana hört, dass Menschen sich nicht als Spenderinnen und Spender registrieren möchten aus Angst vor Spritzen, macht sie das betroffen. «Man muss das in Relation bringen», betont sie, «und sich klar bewusst machen: Du kannst damit ein Leben retten!» Das Damoklesschwert einer möglichen Transplantation schwebte seit ihrem zwölften Lebensjahr ständig über ihr. Nach der Diagnose aplastische Anämie – ihr eigenes Knochenmark konnte nicht ausreichend Blutzellen produzieren – wurde ihr eine Transplantation als «letzter Ausweg» vermittelt. Dass es bereits mit Mitte dreissig soweit war, hat Myriam Fontana dann doch aus der Bahn geworfen. So krank habe sie sich gar nicht gefühlt. «Man fragt sich, ob man das überlebt. Wenn man im Prozess ist und ganz unten angelangt, hat man schon auch Zweifel oder Angst vor Abstossungsreaktionen oder Infektionen», erzählt sie aus der Zeit kurz vor der Transplantation. «Ich hatte selbst auch Angst davor, dass der Spender absagen könnte.» Diese Möglichkeit besteht immer, Zusagen können auch kurzfristig zurückgezogen werden. 

Fehlende Spender

In der Schweiz sind rund 180’000 Menschen registriert, nötig wären viel mehr, da die Übereinstimmung der Gewebemerkmale zwischen Spender und Empfänger möglichst genau passen muss. Für Fontana gab es in den weltweiten Datenbanken einen einzigen Spender und auch der war nicht ganz optimal. 75 % der betroffenen Menschen finden eine passende Spende, für alle anderen hat die mangelnde Spendensituation lebensbedrohliche Konsequenzen. «Das muss man sich mal vor Augen führen», meint Fontana betroffen. Es fehle an Aufklärung und Bewusstsein, gerade bei jungen Menschen. Registriert ist man unkompliziert und schnell und möglicherweise hängt ein Leben davon ab. Fontana hatte Glück. In Deutschland wurden die Ärztinnen fündig, es hat geklappt. Noch ist sie nicht ganz zurück in der erhofften Normalität. Arbeiten im Teilpensum klappt immer besser und auch das Reisen ist wieder näher gerückt. Ihre erste Reise hat Myriam Fontana letztens nach Köln geführt, in die Stadt, aus der ihre anonyme Spende kam. Als bewusstes Dankeschön für ihr geschenktes Leben.

Weitere Infos gibt es unter www.blutstammzellspende.ch

Myriam Fontana liest aus «Kopfüber an der Klippe – und der Weg zurück» am Donnerstag, 16.11.2023 um 19.00 Uhr in der Bibliothek Bösingen. Erhältlich ist das Buch ausserdem via hc.xmg@anatnof.gnulletsebhcub

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