Aus Verzweiflung wird Hoffnung, wird Zuversicht

Aus Verzweiflung wird Hoffnung, wird Zuversicht

Es war durchaus ein Dorfthema, als vor zwei Jahrzehnten die ersten Jugendlichen von der Jugendstaatsanwaltschaft zum Gründer René Bartl nach Guggisberg geschickt wurden. «In die Pampa», wie es bei den jungen Menschen oft heisst. Doch im malerischen Dorfkern von Guggisberg reicht ihnen Rolf Küng die Hand; mit seinem festen Händedruck beginnt eine Art letzte Chance für die «Gestrandeten».

«Diese Lage erschwert das Abhauen», schmunzelt Küng. Und es ist keinesfalls ironisch gemeint. Seit zwei Jahrzehnten betreut er mit einem wachsenden Team sogenannte mehrfach vorbelastete Jugendliche. Wer hier landet, hat nicht mehr viele Alternativen. Aber eine einzigartige Aussicht. Und das ist durchaus im doppelten Sinne gemeint.

Im Grunde gut

Statt pathetischer Worte und einem langen Beschrieb der Haltung und des Leitbilds der Institution sagt Küng kurz und knapp: «Es hat sich noch keiner umgebracht.» Der erste Gedanke mag vielleicht sein: «hoffentlich nicht». Doch in Anbetracht dessen, wie viele verzweifelte junge Menschen in Guggisberg während 20 Jahren ein- und ausgegangen sind, ist das durchaus bemerkenswert. Worin liegt der Erfolg? Sie ahnen es vielleicht, auch dazu gibt es eine kernige Antwort: «Wir legen den Fokus nicht auf das, was schlimm ist, sondern auf einen normalen Umgang.» Küng spricht und sitzt dabei an einem langen Holztisch. Nicht im Wohnheim, sondern in einem weiteren Gebäude aus dem Dorfkern. Seit Kurzem hat die WG-Guggisberg das Gebäude vis à vis des Restaurants Sternen dazugekauft und die Büroräumlichkeiten dort eingerichtet. Ihm gegenüber sitzt ein grossgewachsener Mann, der mit lächelnden Augen durch die Brille schaut und nun mit sympathischem, niederländischem Akzent ergänzt: «Die Jugendlichen sind ja nicht 24 Stunden am Tag schwierig. Es sind alles liebevolle Wesen. Aber es gibt Momente, in denen sie das nicht zeigen können oder das eben nicht da ist.» 

Der Wechsel

Bert Vonk ist in Guggisberg kein Unbekannter. Seit zehn Jahren ist er im Team mit dabei und wird nun, pünktlich zum Jubiläum der WG, die Leitung übernehmen. Dieser Schritt steht symbolisch für eine weitere Besonderheit der Institution: Es ist immer wieder gelungen, gute Leute für lange Zeit nach Guggisberg zu bringen und zu halten. Obschon die Sozialpädagogen hier nicht unbedingt am Nabel der Welt sind, bleiben sie. «Ja, es ist schön hier», lacht Vonk. Auch seine Aussage bezieht sich nicht nur auf die liebliche Umgebung. Die WG lebt eine Kultur vor, in der das Team im Zentrum steht. Es gibt die fallführende Fachperson, die Verantwortung übernehmen muss und weiss, wohin es geht, doch das Team stützt, ergänzt und komplettiert den Weg. «Das erzeugt Sicherheit und Struktur», fasst Küng zusammen. Küng hat ein grosses Interesse daran, wie es weitergeht. Er bleibt der Institution deshalb als Verwaltungsratspräsident erhalten.

Das Dorf

Beziehungen, Sicherheit und Struktur sind es auch, die den Jugendlichen Halt geben. So verschmelzen Team und Bewohnende zu dem, wofür die beiden Buchstaben WG stehen: einer Wohngemeinschaft. Und das passt zu Guggisberg wie das Vreneli zu Hansjoggeli. Im Laufe der 20 Jahre hat die Institution zwar die Gebäude gewechselt, ist aber im Dorfzentrum geblieben. Vom thronenden «Daheim» und dem Haus mit der Adresse «Dorf 77B» zu jenem Gebäude das einst Team-Room und dann Alterszentrum war und heute mit mehreren baulichen Massnahmen zum Wohnort der Jugendlichen geworden ist. Seit jeher hat die abgelegene Lage Guggisbergs dafür gesorgt, dass Menschen hier gelandet sind, die den gesellschaftlichen Normen entfliehen wollten. Hier leben Landwirte, Kunstschaffende, Naturliebhabende, Ruhesuchende und jene, die von allem etwas vereinen. Und aus dieser Guggisberger Kraft ist schon manch Schönes entstanden. Dazu gehören auch Jugendliche, die das Team der WG-Guggisberg aus ihrem «Setting» geholt hat und gestärkt wieder ziehen lässt.

Die Arbeit

Wobei das fast der schwierigste Teil sei, meinen Küng und Vonk unisono. Doch der Reihe nach. «In den ersten Monaten gibt es bei uns eine Diagnostik. Es lohnt sich, sehr gut hinzuschauen und herauszufinden, wieso der Jugendliche es bisland nicht geschafft hat, sich unauffällig zu entwickeln. In diesem Bereich sind wir stark positioniert und dauernd dabei, uns weiterzuentwickeln. Heute können wir als Team partizipativ mit den Jugendlichen und ihrem (Familien-)System zusammenarbeiten und die Situation gut einschätzen», schenkt Küng Einblick in ihr Schaffen. «Heute ist die methodische und fachliche Entwicklung so weit, dass es fast keine Abbrüche mehr gibt. Als Team kommen wir da schon sehr weit», ergänzt Vonk. Es entsteht ein Wissen, ein Verständnis und daraus ergibt sich der zielführende Umgang. Was aber, wenn die Zeit in Guggisberg sich dem Ende zuneigt oder den Jugendlichen sozusagen die Glaskuppel, unter der sie sich bewegen können, plötzlich genommen wird? «Das ist eine grosse Herausforderung», stellt Vonk fest. Das soziale Umfeld ist dann plötzlich wieder schwieriger, die reale Welt is dann wieder die Welt, «deshalb versuchen wir vor Ort etwas Stabiles einzubauen und Kompetenzen zu trainieren, damit sie bestehen können», ergänzt der neue Leiter. Diesen bevorstehenden Übergang übt das Team mit den Jugendlichen. Sie sammeln Erfahrungen, wie sie damit umgehen können. «Als Erfolg erleben wir Austritte, bei denen Jugendliche mit uns in Kontakt bleiben oder wieder vorbeikommen, auch schon mal mit einem Freund oder einer Freundin», ergänzt Vonk.

Die Zukunft

Küng hört in diesem Moment aufmerksam zu. Es scheint, als würde er es ganz für sich, im Inneren geniessen. 20 Jahre und ein Leiter, der in seinem Sinne nicht einfach übernimmt, sondern weiterentwickeln wird. Und das wird auch nötig sein, denn «heute haben wir vermehrt psychiatrische Diagnosen. Jugendliche, deren Weg schon zerrüttet ist, sie verwirrt sind und noch dazu ein schwieriges familiäres Umfeld», stellt Küng fest. Für Menschen, die besonders nahe Strukturen benötigen, hat die WG deshalb ein zusätzliches Gebäude im Riedacker erworben. Und noch etwas hat sich in den 20 Jahren grundlegend verändert: «Früher wurde oft gefragt, was das hier eigentlich bringen soll, heute wird unsere Arbeit viel mehr als gesellschaftlicher Auftrag geschätzt», sagt Küng zufrieden. Kein Wunder, nach so vielen Wiederintegrationen. «Nun, nicht immer sieht man gleich, ob es klappt, manches geschieht auch zeitverzögert und selbst wenn das unklar bleibt, können wir wenigstens dafür sorgen, dass sie Jugendlichen ein gutes Rüstzeug mitnehmen», ist sich Vonk sicher denn: «Die Alternative, nichts zu tun, ist definitiv schlechter.»

Der Erfolg nach 20 Jahren WG-Guggisberg kann sich sehen lassen: Verzweifelte junge Menschen werden nicht als Sonderfälle behandelt, sondern als liebevolle Wesen aufgenommen. Das Wissen, was ihnen fehlt und was sie brauchen, prägt den Umgang. Das gibt Struktur und Sicherheit. Dank Rolf Küng, Bert Vonk und dem Team wird aus Verzweiflung wieder Hoffnung und schliesslich Zuversicht.

INFO:

www.wg-guggisberg.ch

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