Bequeme Neutralität wird unbequem

Bequeme Neutralität wird unbequem

Die Welt tendiere zu bipolaren Machtverhältnissen zwischen den USA und China. So schätzt der internationale SRF-Korrespondent die aktuelle Welt(un)ordnung ein. Wie gut passt da die Schweizer Neutralität hinein und wie soll diese gelebt werden? Es sind die schwierigen und doch so eminent wichtigen Fragen, die der diesjährige Gastredner zu beantworten versucht.

«Das war wirklich lehrreich», «puh, der hat ganz schön viel in sein Referat reingepackt», «er ist so sympathisch und gleichzeitig ein toller Analytiker». Die Kommentare, die nach dem Auftritt von Sebastian Ramspeck zu vernehmen waren, liessen keinen Zweifel offen, dass die Bank Gantrisch an ihrem 14. Schloss-Apéro die Gäste entzückte. Die grosse, weite Welt der Supermächte und der Konflikte flimmerte für einmal nicht über einen Bildschirm ins beschauliche Schwarzenburg, sondern glitt über die Lippen eines Experten in den Schlosspark. Der Schlosspark ist ein passender Ort hierfür, denn vor einigen Jahrhunderten lag nur unweit von diesem Ort die Grenze zwischen den mittelalterlichen «Supermächten», der Habsburger und der Franzosen.

Die Schweiz ist ein Hotel
Damals expandierten die Berner, heute sind es eher andere Mächte, die auf Expansion setzen. «Der Krieg in der Ukraine steht im Zusammenhang mit einer Weltordnung», so der Experte. Russland weiss China hinter sich, die Ukraine hingegen die USA. Wenn dann die Schweiz auf Geheiss vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj die Bürgenstockkonferenz abhält, damit möglichst viele Staatspräsidenten sich hinbegeben, spielt diese ihre typische Rolle in solchen Konflikten. «Ein Diplomat sagte mir einst: ‹Es ist wie immer, die Welt hat ein Problem und die Schweiz ein Hotel›», erzählt Ramspeck. Wie wir wissen, kamen nicht ganz so viele wichtige Staaten, und Russland kritisierte die Aktion. War das neutral? Ja, durchaus, wenn man den Begriff der Neutralität etwas genauer beleuchtet.

Neutralität braucht ein Adjektiv
«I am Switzerland (ich bin Schweiz) bedeutet im englischen Sprachraum, ich halte mich aus allem raus», verrät der Referent. Das kleine Alpenland ist bekannt für seine Neutralität. Sie entstand im 17. Jahrhundert, als es schwer war, im 30-jährigen Krieg zu entscheiden, ob man sich auf die protestantische oder katholische Seite schlagen wollte. «Man wollte sich bewusst nicht festlegen, damit kein Bürgerkrieg entstand. Man nahm Rücksicht auf ganz viele Affinitäten.» 1907 entstand die Haager Konvention. Diese regelt das Neutralitätsrecht, wonach keine Kriege unterstützt werden, keine Bevorteilung ergriffen wird und keine Militär-Allianzen geschlossen werden. «Die Schweiz hält sich als einziges der neutralen Länder noch immer strikt daran», fasst Ramspeck zusammen. Ein pikantes Detail mag sein, dass früher Kriege als legitim erachtet wurden und heute nicht mehr. Wenn also ein souveräner Staat einen anderen angreift, mutiert er zum Agressor. «Deshalb wird diese Haltung, sich aus allem rauszuhalten, hinfällig.» Ist es also in Ordnung, wenn die neutrale Schweiz die EU-Sanktionen gegen Russland mitträgt, weil hier klar ist, dass es einen Agressor gibt? «Wir Schweizer sind alle für die Neutralität, verstehen aber durchaus nicht alle dasselbe darunter», sagt Ramspeck. Immerwährend, bewaffnet, integral, flexibel, er fügt noch einige Wörter an, bis ein Raunen durch die Festbänke im Zelt geht, und fügt schliesslich an: «Das Wort musste immer durch ein Adjektiv ergänzt werden.»

Variable Neutralität
Am Weltwirtschaftsforum prägte Bundesrat Ignazio Cassis den Begriff der kooperativen Neutralität. «Doch der Restbundesrat hat diesen Begriff sozusagen wieder neutralisiert», weiss Ramspeck. «Aussenpolitik ist Innenpolitik», pflegte Bundesrat Cassis zu sagen. Durchaus richtig, wenn man sieht, wie heute über den Begriff und seine Anwendung politisiert wird. Man denke dabei nur an die SVP-Initiative «Wahrung der Schweizerischen Neutralität», welche diese in der Bundesverfassung verankert haben will. Sanktionen zu ergreifen, würde dann nur noch möglich sein, wenn die UNO diese veranlasst. Neu sind die Diskussionen aber nicht, seit 400 Jahren Schweizer Neutralität wurde schon oft ein Adjektiv gezückt, um sich der Situation anzupassen. Es war und wird wohl eine Art variable Neutralität sein, welche die Schweiz lebt. Streng und strikt neutral, aber in der Umsetzung der jeweiligen Situation angepasst. Die heutige Situation ist jene, dass die Welt in einer komplexen (Un)ordnung stecke. Manche nennen dies multipolare Welt. «Ich tendiere zur Sichtweise, dass es bipolar zwischen China und den USA ist. Beide Staaten haben ein Wohlstandsversprechen an ihre Bevölkerung gemacht und sind gegenüber anderen Grossmächten in vielerlei Hinsicht weit voraus», begründet er und fügt an: «Lange war die Neutralität bequem, in der heutigen Welt(un)ordnung ist sie unbequem.»

Wie variabel das alles sein kann, darüber sprechen die Gäste, während sie abermals vom Team des Gasthofs Löwen in Riffenmatt verwöhnt wurden. Sebastian Ramspeck hat brilliert und faktentreu informiert. Eines aber hat sogar er vergessen: die «vereinte Neutralität». Es ist jene im Gantrischgebiet. Jene, die am Schloss-Apéro allgegenwärtig ist. «Miteinander stark» lautet denn auch das Motto der Bank Gantrisch, wenn man im Jahr 2025 sein 200-jähriges Bestehen feiern darf. Ob es draussen unbequem oder bequem ist, die Neutralität der Bank Gantrisch vereint und verbindet so gut, dass man fast Lust hätte, einmal Bundesrat Cassis darüber zu berichten.

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