Seit drei Jahren bereitete sich Roger Schnyder akribisch auf diesen einen Tag vor. Alles wurde hinten angestellt, um sich den Traum vom Sieg beim New York Marathon zu erfüllen. Schon 2012 wollte er an den Start gehen, doch das Rennen wurde aufgrund der Folgen von Hurrikan Sandy abgesagt. «Wir waren alle vor Ort und bereit, aber dann wurde am Freitagabend verkündet, dass der Marathon nicht stattfinden würde. Ich habe sofort im Internet nachgeschaut, ob es einen Lauf in der Schweiz gibt. Es fand einer das Wochenende drauf im Tessin statt, da habe ich mich angemeldet. Ich war so gut in Form, das wollte ich nutzen», erzählt der gebürtige Walliser. Aber auch die Rückreise verlief wegen des Sturms nicht reibungslos. «Die verzögerte Rückreise und der Jetlag waren nicht die optimale Vorbereitung für den Marathon im Tessin, aber ich wurde trotzdem Zweiter. Ich denke heute, die Absage 2012 sollte so sein. Ich habe mich dieses Mal viel besser vorbereitet, akribischer geplant, um am Tag X alles abrufen zu können! Und es hat geklappt», strahlt der 55-Jährige.
Durch Zufall
Erst 2006 begann Schnyder zu laufen und das auch nur zufällig: «Meine Tochter spielte Fussball, die nächste Damenmannschaft war so weit entfernt, dass ich sie immer dort hinbringen musste. Da es keinen Sinn machte, hin und her zu fahren und mir das Warten zu langweilig war, fing ich mit dem Laufen an. Ich wog damals 80 kg und wollte abnehmen.» Bald purzelten die ersten Kilos und der Erfolg motivierte. Sein erstes Rennen in Bern beendete er auf Rang 900. Danach war der Ehrgeiz geweckt. Er intensivierte sein Training und verbesserte sich Jahr für Jahr. 2008 entdeckte er «running coach.me» für sich, eine Webseite, auf der anhand ausgefüllter Parameter ein Trainingsplan erstellt wird. Seit 2011 wird er von Valentin Belz unterstützt, dem Bruder von Christian Belz, dem Schweizer Rekordinhaber über 10’000 m. Belz übernimmt das Feintuning des Trainingsplans und dank dieser professionellen Betreuung ist Schnyder bis jetzt von muskulären Problemen verschont geblieben.
2010 folgte der erste Marathon in Zürich, diesen lief der Wirtschaftsinformatiker seither mehrmals und gewann ihn auch. Dort gelang ihm als 49-jähriger seine persönliche Bestmarke von 2:39. Inzwischen trug er sich ebenfalls in die Siegerlisten von Luzern und Freiburg ein. In München, wo gleichzeitig die Deutschen Meisterschaften stattfanden, belegte er in einem Topfeld den vierten Rang. Er hat nicht, wie üblich, schon für das nächste Jahr geplant, sondern geniesst noch seinen Triumph von New York. Nur die Teilnahme in Rostock steht für den Ostsee-Fan fest: «Rostock ist ein Höhepunkt für mich. Vor vier Jahren lief ich dort einen Halbmarathon in der Kategorie Elite. Ich war in Führung, direkt hinter dem Fahrrad, dass mit ‹Spitze› angeschrieben war und die Leute applaudierten, wenn ich vorbeirannte. Das war ein tolles Gefühl. Der Sieg war etwas Besonderes.»
Wahrscheinlich wird Schnyder 2018 nur noch den Marathon in Zürich laufen, da der Aufwand für diesen Lauf gering ist. Für 2019 liebäugelt er mit einem Start in London und Paris. Auch Tokio reizt ihn: «Es ist ein weiterer Grossanlass und das Publikum soll sehr begeisterungsfähig sein.»
Volle Unterstützung
Ohne seine Frau Ingrid wäre dies alles nicht möglich: «Meine Frau unterstützt mich in allem und bringt viele Opfer. Ich kann mich voll aufs Laufen konzentrieren, da ich nur den Papierkram mache und meine Frau alles andere. Sie fährt zu jedem Rennen mit und hat auch ausprobiert, selber zu laufen, aber das war nichts für sie.» Auch seinen Kindern ist er dankbar, da sie ebenfalls immer Verständnis hatten und sich nie beschwerten, dass ihr Vater ständig unterwegs war.
Für seinen Sport hat er alles andere hinten angestellt. Früher war er in vielen Vereinen tätig und auch aktiver Politiker, heute fehlt die Zeit dafür. Er liebt Süssigkeiten und Wein, aber auch dies gönnt er sich nur selten und wenn, dann mit Mass. «Man isst bewusster und ausgewogener. Dadurch schätzt man das Essen auch viel mehr. Ich habe 15 kg abgenommen, seit ich mit Laufen angefangen habe. Für New York habe ich extra weitere drei Kilos verloren», erklärte Schnyder, der zur Vorbereitung in vier Stunden von Köniz auf den Gantrisch lief. Nächstes Jahr möchte er rennend das Stockhorn bezwingen.
Einmaliges Erlebnis
Sieben Tage die Woche laufen, dazu noch einmal die Woche Krafttraining und Pilates, so sieht die übliche Vorbereitung aus. Seit letztem Jahr arbeitet der Könizer an seiner Lauftechnik. Aber nicht nur die körperliche Vorbereitung ist wichtig, auch der Kopf spielt eine entscheidende Rolle: «Man muss mental stark sein und jeden Stressfaktor ausblenden können. Ab Kilometer 30 ist es nur noch eine reine Kopfsache.»
Der New York Marathon ist ein besonderes Erlebnis. Im Riesenstartbereich warten die Läufer eine Stunde vorher Körper an Körper. Es gibt keinen Platz zum Einlaufen, nur mit Übungen versuchen sich die Starter warm zu halten. Nach den Fahnenträgern, Musikern und Ansprachen fällt endlich der Startschuss, während Frank Sinatras «New York, New York» gespielt wird. «Es war einfach sensationell. Die ganze Strecke entlang stehen die Leute und kreischen, wenn man vorbeiläuft. Die Freiwilligen machen alles mit Begeisterung», freut Schnyder. Ein weiterer Höhepunkt war der Empfang beim Generalkonsul: «Am Montag wurden der zweite Schweizer Sieger, Peter Camenzind, und ich von Herrn und Frau Schär eingeladen. Wir wurden von einem Chauffeur abgeholt und nach dem offiziellen Teil gab es einen Brunch. Das war das Tüpfelchen auf dem i.»


