«Die Natur macht es uns vor»

«Die Natur macht es uns vor»

Was wäre, wenn wir die verschiedenen Etappen im Leben als ganz natürlichen Kreislauf betrachten könnten? «Dann würden wir erkennen, dass das Sterben zum Leben gehört und nicht zum Tod», sagt Nicole Gurtner. Mit ihrer Aufklärungsarbeit setzt sie sich für eine würdevolle Begleitung auf der letzten Etappe des menschlichen Daseins ein.

Angehörige von demenziell erkrankten Menschen stehen vor grossen Herausforderungen bei der Pflege und Betreuung ihrer Liebsten. Mit Kursen und dem monatlichen Treffen der Angehörigengruppe bietet Nicole Gurtner Interessierten und Angehörigen eine Plattform, um Ängste und Sorgen zu deponieren und sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. «Ich versuche in einem geschützten Rahmen in einfachen Worten über die verschiedenen Etappen einer Erkrankung aufzuklären und Brücken zu bauen zwischen Betroffenen und dem Umfeld.

Autonom trotz Abhängikeit

Seit jeher hat die gelernte Pflegefachfrau eine Faszination für tiefgründige Lebensthemen. Geprägt durch ihre Tante, welche als 16-Jährige an Kinderlähmung erkrankte, war sie früh mit einem nahenstehenden Menschen konfrontiert, welcher komplett auf Pflege angewiesen war. «Ihr Wesen hat mir imponiert und mich nachhaltig geprägt. Obwohl sie in einer körperlichen Abhängigkeit war, blieb sie in ihrer Persönlichkeit autonom. Sie hat sämtliche ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen mobilisiert», erinnert sich die Mamishauserin. So malte die Tante beispielsweise mit dem Mund Bilder, schrieb Gedichte und rauchte leidenschaftlich gerne Zigaretten. «Auch wenn es nach aussen nicht so aussieht, kann das Innenleben eines Menschen reich und fantasievoll sein», sagt die Mutter eines 16-jährigen Sohnes überzeugt. 

Die Macherin

Diese Erkenntnis inspiriert Gurtner bis heute. Nach ihrer Ausbildung zur Pflegefachfrau und einem Nachdiplomstudium war die zielorientierte Optimistin in unterschiedlichsten Gebieten der Gesundheitsversorgung in der Schweiz tätig. Mit ihrem guten Gespür für die Menschen fühlt sich Gurtner wohl in Leaderrollen, übernahm die Betriebsleitung der Spitex Guggisberg/Rüschegg und gestaltete die Reorganisation massgeblich mit. Nach der Eröffnung des Alterszentrum Rüschegg erfolgte die Mitarbeit bei der Neueröffnung im Alterszentrum Riffenmatt und parallel absolvierte sie die Ausbildung zur Institutionsleiterin. Auch bei ihrer letzten Station als Pflegedienstleiterin und Mitglied der Geschäftsleitung in der Stiftung für Betagte in Münsingen erreichte sie zusammen mit dem Team Hervorragendes. Nach 17 Jahren Führung ist nun Schluss. «Ich spürte, dass es an der Zeit für einen Wechsel ist.» Seit Neustem unterrichtet Gurtner an der Höheren Fachschule Pflege (BZ Pflege) in Bern und Thun und absolviert berufsbegleitend die Ausbildung zur Berufsschullehrerin. «Ich freue mich, dass ich mein Wissen an junge Menschen weitergeben darf», sagt die Naturliebhaberin. 

Eine Frage des Blickwinkels

«Das Gesundheitswesen ist im Umbruch. Es braucht agile, mutige Menschen mit Empathie und Klarheit, sagt Gurtner überzeugt und fährt fort: «Das Gesundheitssystem, inklusive der Finanzierung, fokussiert auf die Krankheit anstatt auf Gesundheit. Die Frage, die wir uns alle stellen sollten, ist: Was machen wir aus der jetzigen Situation und wie schaffen wir es, lösungs- und ressourcenorientiert zu handeln? Ein Beispiel, das die Dozentin nennt, ist die digitale Transformation wie etwa die telemedizinische Überwachung. Eines liegt ihr besonders am Herzen: Dass die Pflege die Würdigung und Anerkennung von der Gesellschaft und der Politik erhält, die sie verdient, und sich die Arbeitsbedingungen, wie in der Pflegeinitiative vorgesehen, verbessern. «Der Wert der Pflege wird unterschätzt, in der Gesellschaft wie von der Berufsgruppe selbst», bedauert Gurtner. 

Altern mit Würde

Die Lebenserwartung der Menschen steigt, insofern wird es also auch immer wichtiger, die richtigen und gut ausgebildeten Pflegefachkräfte um sich zu wissen. «Bei der Begleitung von Menschen auf ihrer letzten Etappe geht es darum eine bestmögliche Lebensqualität bis zum Lebensende zu ermöglichen», erklärt Gurtner. Dazu gehört für sie auch ein verständnisvoller und würdevoller Umgang mit den Betagten: «Altern gehört zum Leben und ist ein ganz natürlicher Prozess. Die Selbstständigkeit zu verlieren heisst jedoch nicht, dass wir den freien Willen verlieren. Wir können viel von der Natur lernen, die uns immer wieder eindrücklich den Kreislauf veranschaulicht: Nach der vollen Blüte braucht es den Rückzug und die Stille. Erst dann kann wieder Neues entstehen.» Angst vor dem Tod hat Gurtner nicht, wie sie kopfschüttelnd sagt: Ich möchte den Tod jedoch auch nicht romantisieren, sondern ihm einfach die Natürlichkeit zurückschenken». 

 

INFO:

Eine weitere online-Angehörigengruppe ist geplant.

Anfrage unter: nicole-gurtner(at)gmx.ch

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